Inspiration:
Eine Pilgerfahrt in den Hundsrück
„KINDERWUNSCH“
„Na Herr Dichter, schon aufgestanden?“ Gegen Mittag erreicht mich Heikes Email, tatsächlich bin ich gerade erst aufgestanden, Dichter brauchen bekannter Weise viel Schlaf.
Es ist Samstag, der 31. August. Der schöne Spätsommer schwächelt ein wenig, es ist mild und regnerisch. Ich überlege mir mein Outfit, immerhin steht für Heute die Begegnung mit einer Modeikone auf dem Programm.
Anja übermittelt mir via Facebook ihre „mobile Präsenz“ sprich Handynummer, dies sicherheitshalber, damit wir uns bloß nicht verpassen. Treffpunkt Bahnhofsviertel Königswinter um 16:30 Uhr.
Ich bin freudig erregt, das schon seit Tagen. Heike traf ich vor ein paar Wochen das erste Mal seit 20 Jahren wieder auf unserem 30 jährigem Abi-Treffen. Anja leider nicht, sie war an diesem Tag virusbedingt verhindert.
Ach, das wird lustig mit den beiden, und wir haben uns bestimmt wahnsinnig viel zu erzählen nach all den langen Jahren. Und dafür auch genug Zeit, hin und zurück liegen 400 km Fahrt vor uns.
Eine Pilgerfahrt in den Hundsrück nämlich, anlässlich der Autorenlesung von Valeska Réon, die ihr neues Buch vorstellt. Valeska wiederum ist eine liebe Freundin von Anja und Heike, ich selber lerne sie heute Abend erstmalig persönlich kennen, bislang sind wir lediglich Facebook-Freunde und schreiben uns.
So schließt sich dieser Kreis jener mir bevorstehenden drei Begegnungen, alle an einem Tag. Aufregend, ich freu mich wahnsinnig.
Herzliche Begrüßung, Heike und Anja bereiten mir einen „großen Bahnhof“, als ich pünktlich am verabredeten Treffpunkt erscheine. Wir besteigen mein Auto und die zweistündige Hinfahrt in Richtung Burg Grimburg vergeht wie im Fluge, während wir uns unsere Lebensbeichten gegenseitig abnehmen. Wir erzählen uns in aller Offenheit unsere Geschichten, ich fühle mich wie auf einer Achterbahn, in der wir drei die vordersten Plätze belegen. Will gar nicht aussteigen, als wir unser Ziel erreicht haben, es gibt nichts spannenderes als Lebensgeschichten. Aber es gibt ja noch eine Rückfahrt.
Ankunft gegen 18:30 Uhr, Burg Grimburg bei Hermeskeil, ein Ort im Landkreis Trier-Saarburg, etwa „halb so groß wie der Zentralfriedhof von Berlin, nur doppelt so tot“, so Heike.
Ähnlich wie auf unserer Lebens-Achterbahnfahrt belegen wir auch auf dem Parkplatz den vordersten Platz, Glück gehabt. Vor uns erhebt sich eine wunderschöne alte Burg, in deren Innenhof die ersten „Saar-Hunsrück Literaturtage“ stattfinden. Ein dreitägiges Festival mit durchaus namhaften Autoren, die lesewilligen Zuhörern ihre Werke ans Herz legen. Daneben eine Vielzahl an musikalischer Begleitung unterschiedlicher Bands und Künstler. Zu essen und trinken gibt es auch, Gott sei Dank, Heike hat heute noch nichts Richtiges gegessen und droht zu unterzuckern.
Schöne Stimmung und je dunkler es wird, desto magischer erscheinen die alten Gemäuer im bläulichen Licht einer beeindruckenden Lichtinstallation. Auf der großen Bühne turnt ein fröhlich wirkendes Moderatoren-Pärchen rum. Den einen kenn ich, der hat früher den „Lila Laune Bär“ gemacht und befragt gerade Günther Wallraff zu seinem letzten Projekt, als wir das Gelände betreten.
Nicht schlecht denken wir uns, Wallraff als Vorprogramm von Valeska Réon, na die hat’s geschafft!
Während das Publikum dem charismatischen Günni lauscht, suchen wir Valeska, auch Ela genannt. Sie sitzt mit ihrer Fotografin hinten am Catering-Zelt und freut sich riesig über unseren Besuch. Umwerfendes Kleid, aber das hatte ich nicht anders erwartet. Wir umarmen uns wie alte Freunde, mir wird warm ums Herz.
Ela, Anja und Heike haben sich auch länger nicht gesehen und haben sich viel zu erzählen, eine Stunde vor ihrem Auftritt ist bei Ela von Nervosität nichts zu spüren. Nur Heike ist nervös, sie hat Hunger. Hinter uns bereitet ein italienischer Koch Nudeln mit frisch gebratenen Scampis, Parmesan und Rucola zu. Einstimmige Wahl, wollen wir auch! Wir entscheiden uns dann doch spontan für die Bratwurst im Brötchen, als die letzte Portion Nudeln vor Heikes Bestellung über den Tresen wandert. Zum Trost bringt uns der Koch persönlich einen Eimer Senf an den Tisch, und Ela bemerkt ebenso tröstend, dass Kohlenhydrate am Abend eh ungünstig seien.
Die Moderatorin namens Brigitte setzt sich zu uns und bittet Ela vor ihrem Auftritt um ein kleines Vorgespräch, offensichtlich besprechen die beiden kurz die Inhalte des einleitenden Interviews. Beide verschwinden in Richtung Bühne, während wir noch etwas Herrn Wallraff zuhören, der in beeindruckenden Worten die fürchterlichen Missstände deutscher Paketzusteller beschreibt und mir ein schlechtes Gewissen bereitet, weil ich meine Bücher immer bei Amazon bestelle. Recht hat er, mach ich künftig nicht mehr.
Wir wechseln den Platz in Richtung Bühne, schon wieder erste Reihe, Bingo! Mittlerweile gibt Wallraff Autogramme im Autorenzelt, Ela schreibt eine Widmung in das Autogramm-Album eines Fans, der sie noch um ein Foto bittet und sichtlich stolz gerührt zu seinem Platz zurückkehrt. Auf der Bühne findet noch die Auslosung der Tombola statt, der italienische Koch gewinnt einen Fresskorb und die stellvertretende Bürgermeisterin von Hermeskeil spendet ihren Gewinn, einen Rundflug über die Region einer bedürftigen Familie.
Der lila Laune Bär bringt noch eine kleine musikalische Einlage mittels eines selbstgeschriebenen Liedchens auf einer schlecht gestimmten Gitarre. Dann wird Ela auf die Bühne gebeten, Brigitte beginnt mit dem Interview, befragt sie nach ihrem achterbahnartigen Lebensweg und ihrer außergewöhnlichen Karriere.
Ela lässt es sich nicht nehmen, Anja eigens zu begrüßen, gegen die sie in frühen Schulzeiten einen Lesewettbewerb gewann. Dann nimmt sie an dem großen Lesetisch platz und verzaubert uns wie aus dem Stehgreif für die nächsten 45 Minuten mit Auszügen aus ihrem neuen Buch „Das falsche Spiegelbild“…
Wunderbar!
Pünktlich 21:00 Uhr verlässt sie unter dem Applaus des Publikums die Bühne und schenkt uns dreien jeweils ein Exemplar ihres Buches mit persönlicher Widmung. Mir schreibt sie:
„Für Norbert, ich wünsche mir noch viele Gedichte von dir.“
Versprochen, liebe Ela!
Es ist kalt geworden, wir beschließen aber, noch etwas zu bleiben. Ela verzichtet auf die Signier-Stunde im Zelt und bleibt lieber bei uns. Gute Wahl, hätte sie sonst wohlmöglich den anschließenden Auftritt von Robert Erzig verpasst, der in der folgenden Stunde das Publikum mit fröhlichen Liedchen zu erwärmen versucht.
Brüller! Inhaltlich geht es vorrangig um Themen wie Katzenfutter mit Mäusegeschmack oder Männer und Frauen vor Toilettenhäusern. Heike verfällt im Laufe seiner Performance in zunehmende Euphorie.
Herr Erzig begeistert das eskalierende Publikum mit Refrains wie
„Oh je, oh je, oh je… „, während Heike ein virtuelles Plakat mit der Aufschrift
„ICH WILL EIN KIND VON DIR!!!!“
in die Luft hält, als sich Erzig einen grünen Hut mit Rasierpinsel aufsetzt, um uns anschließend mit einem lustigen Jägerliedchen zu erfreuen. Wir ringen um Luft, so gelacht habe ich lange nicht mehr. Besonders nach dem sich Erzig ausdrücklich bei der Festivalleitung für die tolle und (fast) fehlerlose Organisation bedankt und wir zu dem Schluss geraten, diesen schweren Fehler seines Auftritts der Orga-Leitung zu verzeihen.
Während Ela befürchtet, ihm wohlmöglich Morgen beim Frühstück-Buffet im Hotel zu begegnen, sorge ich mich um Heike, die droht, hemmungslos über Herrn Erzig herzufallen, sobald dieser sein Programm beendet hat, um ihren dringlichen Kinderwunsch nachhaltig Ausdruck zu verleihen. Aus Sicherheitsgründen verlassen wir also kurz nach 22:00 Uhr alle die Veranstaltung, werden aber noch von der für Mitternacht angekündigten Band „Who´s Next“ aus Köln verfolgt, die uns flehentlich darum bittet, doch bitte nicht zu gehen.
Wir verabschieden uns von Ela und ihrer Begleitung.
Die Rückfahrt verläuft ähnlich zeitlos, was für wundervolle Gespräche.
Und was für wundervolle Begegnungen! Alle an einem Tag…
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