Inspiration:
Die bevorstehende Nasen-OP einer lieben Freundin, der ich mit dieser Mail etwas Mut bereiten möchte, weil ich das auch schon hinter mir habe.
Und ein Text von Horst Evers, den ich Tags zuvor las und mir zur „Steilvorlage“ wurde. Danke Horst!
„Alles halb so wild!“
Seit Jahren führe ich ein kleines Notizbuch mit mir, in dem ich die alltäglichen Paradoxen und die damit verbundenen Fragestellungen notiere, die mir in meinem bewegten Leben immer wieder begegnen. Tatsächlich finde ich darin auch einen Eintrag zum Thema Nase, nämlich die Frage, warum „Augen Nasen sehen, Nasen aber Augen nicht riechen können“.
Rätselhaft erscheint uns doch diese uns so prägende Körperöffnung, hinter der sich manch verborgener Hohlraum befindet, den es gut zu belüften gilt.
Wusstest du eigentlich, dass die alten Ägypter ihren Königen das Hirn durch die Nase entfernt haben, weil sie der Meinung waren, man müsse für die Reise ins Jenseits einen freien Kopf haben. Dazu benutzen sie jene hakenähnlichen Instrumente wie die, die du beim HNO gesehen hast. Dann versiegelten sie die Hirne in Ton-Gefäßen, stellten diese neben die Sarkophage und überließen ihren Pharaonen das Problem, das Zeug am Ende ihrer Reise wieder in den Kopf zu bekommen, vermutlich wieder durch die Nase. Merkwürdig, oder? Die gefundenen Tontöpfchen waren übrigens erstaunlich klein und belegen, dass es nicht viel Hirn bedarf, um die Welt zu beherrschen. Daran hat sich bis heute nichts geändert, aber ich komme vom Thema ab…
So, unser Kopf besteht wie gesagt in der Hauptsache aus Hohlräumen und etwas Hirn. Darin pulen* etliche HNO-Ärzte, die sich frustriert die Frage stellen, etwa darum so lange studiert zu haben. Das kann es doch nicht sein, nur eine Operation verschafft doch wahre persönliche und finanzielle Befriedigung. Also ab ins Krankenhaus und unters Messer, dann klappt das auch wieder mit der Belüftung und mit der Stimme, meine Liebe!
So denn, Montagmorgens halb acht sollte es auch bei mir losgehen mit Dr. W. Dagarve, dem Arzt meines Vertrauens. Ihm hatte ich nach etlichen Arztbesuchen den Zuschlag erteilt, weil er mir in seiner quirligen Art irgendwie sympathisch erschien und ich zuvor sicherstellen konnte, dass sein ausländisch klingender Nachname keinen ägyptischen Ursprung hat. Der hat immer ein paar Belegbetten im Krankenhaus frei, in das ich mich schon sonntags einliefere, um noch etwas Ruhe zu finden und weil mich der Anästhesist nochmal sprechen möchte.
Während ich auf den warte, notiere ich mir den Begriff „Belegbetten“ in mein Paradoxen-Buch und überlege, ob es denn noch andere Betten gibt. Der Narkotiseur erscheint. Er ist sichtlich gestresst und müde nach 36 Stunden Dienst am Stück, beteuert aber, morgen früh wieder auf dem Damm sein zu wollen, um meine Operation zu überwachen. „Nasenscheidewand begradigen und Nebenhöhlen ausräumen, so so. Alles halb so wild, das macht hier der Pförtner“. Super Witz, denke ich und revanchiere mich bei ihm, während er mich nach vorherigen Operationen verhört und ich ihn daraufhin frage, ob er sich denn nicht an meine Herztransplantation vorletzte Woche erinnere, da wär er doch auch dabei gewesen? Ich liebe Krankenhaus-Witze.
Als der Doktor sichtlich irritiert verschwindet, merke ich doch Nervosität in mir aufkommen. Gehe zur Pforte und frage den älteren Herren hinter dem Tresen, wie lange er denn hier schon arbeite. „17 Jahre…“ antwortet er und betont, er wäre sehr erfahren. Das beruhigt mich etwas, belege wieder mein Bett und notiere „müder Anästhesist“ in mein Büchlein. An sich ja kein Paradoxon, allenfalls die Frage, wie sich denn ein Anästhesist wachhalten will!
Schwester Helga erscheint, befühlt mich nach Fieber und misst mir den Blutdruck, fragt, ob ich etwas zum Schlafen benötige. Sie verweigert mir die Weinkarte und schlägt vor, die Gute-Nacht-Geschichte könne mir ja die Nachtschwester erzählen, die käme später nochmals nach mir schauen. Letztere ist eine Bekannte von mir und organisiert mir eine kleine Flasche Bier „aus der Inneren“ (das ist ein wahnsinns Paradoxon!!!), die haben da immer Kölsch für die Nierenkranken.
Du siehst, den Tag kriegst du schon rum. Auf Morgen kannst du dich wirklich freuen, der Tag beginnt mit einer Leg-Mich-Am-Arsch-Tablette, die ist wundervoll und macht echt gute Laune! (Erinnerst du dich noch an das Zeug von damals?)
Dann noch das OP-Leibchen an und ab in den Fahrstuhl, samt Belegbett. Die Fahrt geht nach unten und erscheint mir unendlich lange zu dauern. Unten angekommen sehe ich noch Dagarve, komplett in grün gekleidet mit Atemschutz, roten Hörnern auf dem Kopf und Dreizack. Der übermüdete Narkosearzt von gestern lehnt sich über mich, hält mir eine Maske vor die Nase und bittet mich, von 10 bis 0 zu zählen. Er schläft bei der 7 ein, ich bei der 4…
Als ich gegen Mittag aufwache, strahlt mich ein junger in weiß gekleideter Assistenzarzt an, klopft mir auf die Schulter und sagt, dass alles gut sei und ich mit dem neuen Knie sicher bald wieder gut laufen könne…
*Das Verb „pulen“ wird tatsächlich ohne „h“, also nicht „puhlen“ geschrieben! Paradox! Fröhliches in-der-Nase-pulen! Nähmlich!
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