Kategorie: 01 Erlebtes

Mossad

Hier spielt alles verrückt! Kein Zweifel, Gott wurde entführt und sitzt gerade irgendwo gefesselt und geknebelt auf einem Stuhl. Anders kann ich mir das nicht erklären. Überhaupt, ich hätte da noch ein paar Fragen, zu denen er bislang beharrlich geschwiegen hat.

Wir müssen handeln! Habe einen Plan…

„Mossad oder The Mission Impossible“

«Email an meinen Komplizen»

„Bin auf dem Weg nach Israel, ich weiß jetzt wie wir’s machen! Der Mossad weiß hundertprozentig, wo sie den Kerl versteckt halten. Seinen Sohn haben sie ja damals auch festgenagelt!

Hör zu: Du besorgst einen Stuhl, ein Seil und eine Gänsefeder. Dann mach rüber nach Cape Canaveral, die Schlüssel für die Shuttles sind beim Pförtner, hinten an der Wand der gelbe Kasten. Mach die „schöne Augen-Nummer“ oder sowas, Dir wird schon was einfallen.

Warte da auf mich, ich schaue mir gerade ein YouTube-Video an, kann doch nicht so schwer sein, die Büchse zu fliegen. Ach, und schmier‘ dir ein paar Käsebrote, keine Ahnung, wie lange wir brauchen werden. Hab‘ keinen Bock auf deine miese Laune, wenn du wieder Hunger kriegst!

Wir holen den Chefdesigner da raus, packen ihn in die Flugente und düsen zurück und landen unauffällig, bei dem Höllenlärm bekommt das eh keiner mit!

Von wegen Befreiung! Wir schleppen den Meister auf deine Bude, fesseln ihn an den Stuhl, und dann…

…kommt die Gänsefeder zum Einsatz. Ich sag nur „happy torments„, der Kerl wird singen, das schwöre ich dir!

Also bis später! Geiler Plan, oder?

Vergiss nicht, diese Email zu zerstören…“

P.S. Verdammt – was ist, wenn Gott nicht kitzelig ist? Und wie zum Teufel findet man den Mossad?!

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Gatsby

…ist schräg. Fast gefürchtet. Ein Einzelgänger in seiner Herde. Kein Fluchttier, dafür ist er viel zu neugierig. Er schaut dir direkt ins Gesicht, bezaubert mit seinem Lächeln…und klaut dir dein Handy, unbemerkt.

Er freut sich dann diebisch, ohne zu wissen, was man mit einem Handy macht.

Ich liebe diesen Gatsby. Weil ich ihn verstanden habe.

Ich würde nie auf ihn SETZEN. Er würde mich abwerfen!

Doch wenn ich auf ihm SITZE, trägt er mich!

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Verschwörungstheoretisches

„Wenn alle Insekten von der Erde verschwänden,

würde innerhalb von 50 Jahren alles Leben enden.

Wenn alle Menschen von der Erde verschwänden,

würden in 50 Jahren alle Formen des Lebens aufblühen.“

(Jonas Salk)

Inspiration: ein YouTube-Video namens „200 Beweise, dass die Erde keine rotierende Kugel ist.“ von einem gewissen Eric Dubay

„Verschwörungstheoretisches“

In Wahrheit ist die Erde (k)eine Kugel. Das ist mal so sicher wie das Amen in der Kirche!

Das Netz ist übersäht von beeindruckenden Studien voller Beweise und Gegenbeweise. Alle in sich sehr schlüssig und logisch. So wie jede Weltanschauung, jedes politische Programm, jede Religion. Mit Sicherheit auch jede Wissenschaft, deren Beweise doch immer nur auf Annahmen beruhen. Mit denen kann man dann arbeiten und Nobelpreisträger werden.

So sind Menschen. Zumindest deren kluge Fraktion. Die besteht zum einen aus den Suchenden, deren Lebenssinn in dem nicht enden wollenden Versuch besteht, die Welt zu verstehen. Dann aus den Verstehenden, die es offensichtlich geschafft haben, das System zu durchschauen. Zu guter Letzt gibt es noch die Erleuchteten, die von Gott persönlich belichtet sind.

Man könnte meinen, diese Elite der Gutmenschen und Sehenden sind die Säulen einer heilenden Welt.

(Zwischenbemerkung des Autors: „Diese Aussage basiert auf der grundlegenden Annahme, die runde oder auch flache Welt sei krank. Übrigens beruhen alle meine bisher verfassten Sätze auf Annahmen. Ich finde mich trotzdem gerade sehr überzeugend, oder etwa nicht? Aber weiter im Text:)

In Wahrheit jedoch sind es genau jene, die unsere Welt als zutiefst erkrankt erscheinen lassen.

(Lebenseinstellung des Autors: „Wahrheit, was ist schon Wahrheit?“ Also streichen wir das Wort „Wahrheit aus dem letzten Satz:“)

Genau jene sind es, die unsere Welt als zutiefst erkrankt erscheinen lassen.

(Klingt besser. Ohne Wahrheiten wirkt alles definitiv überzeugender. Weiter im Text…)

Jetzt denken wir uns doch einmal die gesamte Menschheit weg, auch die Dummen und Schlafenden. Eben alle.

(Natürlich mit Ausnahme von dir und mir als stille Beobachter…)

Übrig geblieben ist also eine Erde mit Pflanzen, Tieren und ganz viel sonstige Natur, die sich selbst regulierend in den unterschiedlichsten Wetterlagen vor sich hinlebt und hoffentlich nicht noch einmal den Fehler begeht, aus sich heraus menschliche „Intelligenz“ zu evolutionieren.

Wenn doch, muss die Natur zum wiederholten Male eingreifen und dieses Problem beseitigen. Denn dazu ist sie nun mal fähig und zieht solch notwendigen „Säuberungs-Maßnahmen“ auch sehr konsequent durch. Sei es die Eliminierung einer völlig durchgedrehten Horde wilder Affen, die glauben, auf Kosten anderer ihr sinnloses Leben zu leben. Oder aber einer sich maßlos überschätzender Menschheit, die wirklich von sich glaubt, alles zu verstehen und noch schlauer zu sein als Gott und die Natur.

Die Kernannahme meiner hier dargelegten Theorie lautet demnach wie folgt:

Egal ob rund oder flach, der Erde ist es egal, wie sie gesehen wird (mir übrigens auch…). Denn sie ist Teil einer Schöpfung, die entstehende Krankheiten ganz einfach verschwinden lässt, bevor sie größere Schäden anrichten können. Und zwar dadurch, indem sie diese Erkrankungen sich selber kannibalisieren lässt.

Mit dieser Annahme kann ich gut leben, ja sie stimmt mich sogar hoffnungsvoll. Und damit kann ich arbeiten und den Nobelpreis gewinnen. Den hab‘ ich mir nun mal vorgenommen.

Unerlässlich auch hier die Beweisführung: man muss doch nur den Fernseher einschalten oder sich eine Zeitung kaufen um zu beobachten, wie sich die Menschheit gerade gegenseitig verspeist.

Oder unerlässlich in Google oder YouTube auf der Suche nach Antworten sein, statt in einer Hängematte vor sich hinschaukelnd in den Himmel zu schauen, in dem Bewusstsein, Teil dieser Natur zu sein.

Mehr müssen wir nicht tun. Das ist unser Beitrag, unsere Mission. Einzig nur in diesem Bewusstsein zu leben.

Cool, oder? Wir sollten mal wieder abhängen. Es ist das Beste, was wir tun können!

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Zeitdiebe

Inspiration: die sogenannte „Sommerzeit“

 

„Zeitdiebe“

Als ich heute erwachte war sie weg. Einfach weg!

Eine Stunde meiner Zeit, in der ich Dir ein Bild hätte malen, Dir ein Gedicht oder eine Geschichte hätte schreiben können. In der ich neben Dir hätte sitzen können, um Deinen Gedanken zu folgen.

Um von Dir zu lernen, was wahres Leben bedeutet.

Stattdessen nimmt man mir einfach diese Stunde weg, ohne mich zu fragen! Damit es abends heller sein soll. Warum eigentlich, morgens ist es dafür nur länger dunkel.

Ich verstehe das nicht.

Aber man hat mir versprochen, dass ich sie wieder zurückbekomme, diese Stunde. Irgendwann im Herbst. Wer weiß, was dann ist.

Sie kann mir gestohlen bleiben, diese Stunde im Herbst. Eine Stunde im Frühling, um wahrhaft zu leben…

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ELVIS (…und Barschel leben!)

Inspiration:

Eine Dienstreise nach Mecklenburg Vorpommern und eine Hommage an Dirk Bach, dem ich das „Jungelcamp“ verzeihe…

„Elvis“

Ich bin auf der Fahrt Richtung Meer, manchmal verschlägt es mich tatsächlich auch dahin, wenn es mein Beruf von mir verlangt. Ostsee, kurz vor Usedom, das hört sich doch gut an. Die Fahrt beschert mir 9 Stunden zähes Vorankommen bei scheiß Wetter, es regnet junge Hunde.

Ah, da haben wir es ja wieder, unser Lieblingsthema, das Wetter. Darüber könnte ich stundenlang schreiben. Vor allem nach diesem merkwürdigen Sommer, dieser Ausgeburt des von uns Menschen verursachten Klimawandels, so die Meinung der zahlreichen Möchtegern-Umweltaktivisten an Bushaltestellen, Bürofluren oder in Internetforen, den Klagemauern unserer verlogenen Gesellschaft.

Unsinn, das glaube ich nicht! Ich bin davon überzeugt, diese unberechenbaren Wetterkapriolen sind gesteuerte Rache-Attacken Jörg Kachelmanns, jenem von der Öffentlichkeit verstoßenen Isobaren-Gurus, der seinerzeit als mittelloser Penner unter einer Brücke die geniale Idee hatte, den Leuten täglich kurz vor der Tagesschau zu verklickern, wie denn das Wetter heute gewesen ist und wie es möglicherweise morgen sein könnte, ohne irgendeine blasse Ahnung davon zu haben. Damit machte der Kerl mit seinem Team angetrunkener Meteorologen Millionen, ohne es auch nur für nötig zu empfinden, sich mit der Kohle neu einzukleiden, um uns stattdessen als allabendlich unrasierte Vogelscheuche zu bequatschen. So wie heute seine Kollegin und Nachfolgerin Claudia Kleinert, die allerdings deutlich besser bekleidet das nun vorrangig männliche Fernsehpublikum systematisch lasziv in die Irre führt, und dafür auch ein granaten Gehalt bekommt.

Verdammt, ich will nicht wissen, wie das Wetter heute war, ich will wissen, ob ich morgen `ne Jacke brauche oder nicht! Gerade jetzt in dieser Zeit der sogenannten Übergangsjacken, also derer, die man nirgendwo zu kaufen bekommt, weil Kaufhäuser ja nur Sommer oder Winter kennen und ohnehin nicht getragen werden, weil sie grundsätzlich entweder zu dick oder zu dünn sind. Die nerven einfach nur tierisch. Insofern kann ich das nicht existierende Angebot solcher Jacken gut nachvollziehen. Sie machen einfach keinen Sinn, obwohl irgendwie alle darüber reden, und das ganzjährig.

Zu Recht ihr Lieben, es ist die Zeit des Übergangs. Zieht euch warm an!

Sei es drum, angesichts der noch vor mir liegenden 830 km bei Stau und Sturzregen sinkt meine Laune auf den Nullpunkt. Schreibe meiner Kollegin eine SMS in der Hoffnung auf eine aufmunternde Antwort, erhalte jedoch nur eine knappe Ansage, dass ihre Laune unterhalb der Nulllinie läge, weil gerade ein Trojaner auf ihrem Rechner versuche, die Firmenkonten zu plündern. Ach ja, es ist Montag, sage ich mir, der ganz normale Wahnsinn am Anfang einer Woche. Den gilt es wie immer irgendwie über die Bühne zu bekommen und ich sehe mich jetzt meiner Kollegin gegenüber in einer strategisch besseren Ausgangssituation angesichts meiner Hinreise, mehr muss ich heute nicht tun.

Schon gar nicht verzweifelt nach alten Datensicherungen suchen und befürchten müssen, dass alle Daten der letzten anderthalb Jahren über den Jordan sind, so lange hat sie wohlmöglich keine Sicherung mehr gemacht. Ich übrigens auch nicht, also schreibe ich mir via IPhone eine Mail mit den Betreff „DASI !!!!!!!“ und checke bei der Gelegenheit mittels einer meiner drei Wetter-Apps, wie denn das Wetter in Jerusalem ist. Da regnet es auch.

Gegen 18:30 Uhr verlasse ich die Autobahn in Richtung Bömitz, einem menschenverlassenen 50-Seelendorf unweit von Anklam. Dort habe ich mir mein Hotel gebucht, der Name „Rittergut Bömitz“ hat mir irgendwie gefallen. Letzteres liegt derart abgelegen, dass es einem unheimlich wird. Wenn ich jetzt auf dieser unbeleuchteten kilometerlangen Kopfsteinpflaster-Straße mit Achsenbruch liegenbleibe, hab ich echt ein Problem. Handyempfang gibt’s hier nicht. Doch alles geht gut, und um Punkt sieben bin ich an meinem Ziel.

Das Hotel ist ein für die Gegend typisches altes Landadel-Gutshaus, gelegen in einem wunderbaren und von hohen Steinmauern umringten Park. Alles ist hell erleuchtet und das mondän wirkende große Haupthaus beeindruckt mich zu tiefst. Damit hätte ich in dieser gottverlassenen Gegend nicht gerechnet. Auf dem Parkplatz finde ich glücklicher Weise noch eine Lücke zwischen einem gigantischen schwarzen Dodge-Pick Up und einem alten Wohnmobil, beklebt mit einem großen Jim Morrison-Konterfei und der Aufschrift „Indians scattered on dawn’s highway“. Überhaupt, der ganze Vorplatz ist voller Luxusschlitten, Oldtimern und überlangen Tour-Bussen. Hinter den Parkplatz befinden sich die zu einem Ballsaal umgebauten alten Pferdestallungen, aus dem laute Musik erschallt. Ich wage einen Blick durch eines der zahlreichen kleinen Fenster und erkenne die Silhouette eines Amy Winehouse-Doubles, die sich stimmlich vom Original in keinster Weise zu verstecken braucht. Sensationell! Der Saal tobt, lacht, tanzt, ist rauchverhangen. Die Türen sind verschlossen und verriegelt, offensichtlich erwünscht diese geschlossene Gesellschaft keinerlei ungebetene Gäste.

Ich kann es kaum glauben und frage verwundert an der Rezeption im Hauptgebäude, was denn bitte hier los sei. Die Dame hinter dem Tresen schaut mich verwundert an, fragt mich nach meinem Namen und sucht diesen vergeblich auf einer Liste mit schätzungsweise hundert Einträgen, offensichtlich die Teilnehmerliste jener Feiergesellschaft im Ballsaal. Ich halte ihr mein Passbook-HRS Ticket unter die Nase und sie nickt erleichtert. „Ach Sie sind das, der Hotelgast. Da hatten sie aber Glück…das letzte Zimmer…“ Seit wann arbeitet denn Romy Schneider an einer Hotelrezeption? Frappierend, diese Ähnlichkeit, mir wird’s warm ums Herz! Aber nur kurz, denn als ich mich umdrehe, erkenne ich Kurt Cobain, der mir grinsend einen gönnerhaften Blick zuwirft und die Lobby in Richtung Stallungen verlässt. Der war wohl kurz mal auf dem Zimmer. Kleinlaut frag ich Frau Schneider, was es denn zu feiern gibt. „Ein neues Mitglied im Kreise der Aussteiger, derer, die ihr für tot haltet.“

Ich brauche Urlaub, dringend! Gehe auf mein Zimmer, meines heißt „Balkonstube“, die wunderbaren Suiten haben keine Nummern. Mir gegenüber liegt eine namens „Beau-Rivage“.

Ich wusste es: Barschel lebt!

Mein Abendessen wird mir im Restaurant serviert, ich bin völlig alleine. Auch mein Frühstück verbringe ich in dieser herrlichen Ruhe. Ich habe gut geschlafen, fühle mich erholt. Auf dem Parkplatz steht nur noch mein Auto, Romy ist weg. Eine junge Frau bringt mir den Kaffee und sie gleicht keiner Unsterblichen, ich bin beruhigt. War ganz schön kalt draußen, als ich zuvor meinen Koffer ins Auto bringe, mach ich immer, bevor ich zum Frühstück gehe.

Denke an Übergangsjacken. Im Feuilleton des Greifswalder Tageblatts ist ein hölzerner Grabstein abgebildet, gestern wurde Dirk Bach beerdigt. Irgendwie wird er mir fehlen. Schaue verträumt in die romantische Parkanlage und entdecke den schwarzen Ami-Pick Up. Mein Herz schlägt bis zum Hals.

„Summer is Coming“.

Es ist der 16. Oktober 2012.“ Wer´s glaubt, wird selig…“ antworte ich dem alten Mann in der Lobby in seiner speckigen weißen Lederjacke und der schmuddeligen Schlaghose mit Glitzerborde, der mir verschmitzt zublinzelt und sich dann seiner Wetter-App zuwendet. „30 degrees in Tennessee…“

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Selfies!

Inspiration: ein missratenes Foto

Selfies!

Zunächst die offizielle Definition laut Wikipedia:

„Ein Selfie ist eine Art Selbstporträt, oft auf Armeslänge aus der eigenen Hand aufgenommen. Selfies sind oft in sozialen Netzwerken wie Facebook, Snapchat oder Instagram zu finden und bilden eine oder mehrere Personen (Gruppenselfies) ab.“

Nur damit alle wissen, wovon ich rede. Der Autor dieses Open Brain-Lexikons scheint mir auch nicht mehr ganz dicht zu sein, angesichts seiner seitenweisen wissenschaftlichen Ausführungen zum Thema „Selfies“. Ich bin mir sicher, er lebt in Scheidung!

Aber Dank seiner Bemühungen weiß ich jetzt, was ein Makake ist (siehe das Beitragsbild eines sich selbst porträ-Tier-enden Primaten). Meiner Meinung nach hätte dieses Bild genügt, um jenes Massenphänomen unserer Gesellschaft hinreichend und in aller Tiefe zu erklären.

Bilder sagen halt mehr als tausend Worte!

Daher liebe ich so sehr die Fotografie, bin immer auf der Suche nach jenen Motiven, die mir Antwort auf meine zentralste Frage geben. Man muss sich nur mit seiner Kamera in eine belebte Innenstadt begeben und planlos auf den Auslöser drücken. Danach sichtet man die Bilder und alle Fragen haben sich erübrigt. Ich kann jedem meiner Leser von Herzen empfehlen, genau dies einmal zu tun.

Ein besonders guter Fotograf bin ich sicher nicht. Die Erkenntnis kam mir spätestens nach dem kürzlich erlebten Debakel, als ich es übermütig wagte, eines meiner Bilder in einem Profiforum ungarischer Spitzenfotografen zu posten. Blendengröße und Belichtungszeit waren ihrer nicht würdig, damit löste ich einen Sturm der Entrüstung aus und wurde derart verbal verprügelt, dass sich der Gruppenadministrator genötigt sah, mein Werk zu entfernen, um mich vor weiteren Beschimpfungen zu schützen.

Doch ich habe verstanden, die technisch exzellenten Detailaufnahmen der verrottenden Autoreifen eines meiner Hauptkritiker waren mir Lehre genug. In diesem Falle alles eine Frage der Technik oder Ausstattung, nicht die des Auges.

Abgesehen von meinen Fotos, ich will nicht wissen, was Günter Grass zu meinen Texten sagen würde, könnte er sie noch lesen.

Egal, es ist Zeit für ein Selfie! Denn sie haben wohl auch den Sinn, sich seiner selbst bewusst zu bleiben. Jeder Schwachsinn hat einen Sinn, so wie jeder Übermut mutig ist!

Denen zahle ich es heim. Das sollen sie mir erstmal nachmachen. Alles eine Frage der Technik, der Ausstattung und einer überlegten Vorgehensweise. Das ist wahre Fotografie.

Hier also die Anleitung zu einem guten Selfie:

Ich besorge mir eine sogenannte „Rückfahrkamera“. Die ist schon ab ca. 30.000 Euro zu bekommen, je nachdem, welches Auto an ihr verbaut ist.

Die eigene Kamera platziere ich mittels eines Stativs im Innenraum der Luxuslimousine mit Fokus auf den 11 Zoll Monitor des Bordcomputers. Mittels Besenstange klemme ich das Kupplungspedal an den Fahrersitz, um den Leerlauf zu sichern. Ich vergewissere mich, dass die Handbremse fest angezogen ist (besonders wichtig bei abschüssigen Straßen).

Starte den Motor und lege den Rückwärtsgang ein, um die Rückfahrkamera zu aktivieren.

Ich betätige den Selbstauslöser meiner Sony und hechte mit einem gekonnten Sprung hinter den Wagen. Schaue etwa 10 Sekunden in die Kamera an der Heckklappe. Warnung an alle, die es mir nachtun wollen: auf keinen Fall länger als 10 Sekunden, immerhin läuft der Motor, die drohende Kohlenmonoxyd-Vergiftung kann das Bild echt versauen!

Dann betrachte ich das Bild.

Sowie das gesamte Umfeld.

Fertig.

Selfies sind cool!

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PAUSCHABLES LEBEN (Teil 1…)

Inspiration:

Eine Urlaubsreise nach Lanzarote…

 

 

„Pauschables Leben“ (Teil 1)

Verzweifelt hauchte Gott dem Meer seine heilende Energie ein. Dann erbaute er ein paar Appartement-Hotels mit SAT-TV auf den Hügeln kleiner Inseln, erfand das Bananenboot, Neckermann und die TUI und machte sich für immer aus dem Staub…

Prolog

Immer wieder überkommen mich tiefe Selbstzweifel gegenüber meinem Vorhaben ein Buch zu schreiben, um damit endlich meinen finanziellen Durchbruch zu erreichen. Nachdem wir uns aber letzte Wochen spontan dazu entschlossen, mein Restvermögen einem Düsseldorfer Reiseveranstalter zu überlassen, bin ich nun doch sehr motiviert. Und die Rahmenhandlung meines Werkes hab ich jetzt auch, eben diese Reise.

Davon abgesehen freue ich mich auch auf den unverhofften Very last Minute Trip! Einfach loslassen, verreisen und ein bisschen schreiben. Das muss jetzt sein, sonst geht die Reise wohlmöglich woanders hin.

Urlaub ist die Zeit des Ver-Arbeitens. Was mich betrifft, sind es die Mühen des letzten Jahres, in dem ich in meiner Tätigkeit als Unternehmensberater sehr vielen kleineren Unternehmen in ihren betrieblichen Belangen behilflich war. Diese dankbare, doch auch sehr aufreibende Tätigkeit ist eng verbunden mit meiner zweiten Tätigkeit als Coach, bei der es um die respektvolle Begleitung einzelner Menschen geht. Als nichtwissender, interessiert fragender Zuhörer und Beobachter gebe ich ihnen dabei Raum, sich selbst zu strukturieren, um Lösungen zu ihren Problemen und Nöten zu finden. Darin liegt mein eigentliches Talent, die Kunst des Nichtwissens  und Zuhörens beherrsche ich ausgesprochen gut.

Über die Jahre bin ich zu der Erkenntnis gelangt, dass ausnahmslos jeder Mensch über eine Vielzahl an Stärken und Ressourcen verfügt, die ihn dazu befähigen, Krisen selbständig zu meistern und Gutes zu bewirken.

Diese grundsätzlich positive Veranlagung eines Jeden scheint jedoch zunehmend an Bedeutung zu verlieren, sobald  sich dieser in die Gemeinschaft anderer begibt. Angefangen von Lebensgemeinschaften und Familien, über Arbeitsgemeinschaften in Betrieben und Konzernen, vor allem aber im globalen gesellschaftlichen Zusammenspiel herrscht offensichtlich die Meinung vor, dass Offenherzigkeit, Toleranz und Vertrauen die eigenen Vorstellungen und Wahrheiten in Gefahr brächten. Und so kommt es, dass man sich zu verschließen beginnt, um letztlich in Selbstsucht und Rücksichtslosigkeit zu versinken.

Besonders das Zusammentreffen unterschiedlicher Gesellschafts- und Kulturformen erweist sich oftmals als – sagen wir mal – eher problematisch, wie es die Geschichte der Menschheit immer wieder gezeigt hat. Wahrscheinlich hat es sich Gott etwas anders vorgestellt, als er ihr nach getaner Schöpfung die Erlaubnis erteilte, sich der Erde zu ermächtigen. Musste er doch ansehen, dass dies bis heute doch nicht so reibungslos verläuft wie er sich das vielleicht erhoffte. Und es mag wohl langsam eng werden mit seiner Geduld, sollte er die Eskalationen der letzten Zeit verfolgt haben.

Kurz gesagt: der gesellschaftliche Mensch verhält sich oft merkwürdig, und auch davon handelt meine Erzählung.  Einzig Hoffnung machen da die Menschen, denen es gelingt, sich den Einflüssen dieser zweifelhaften Gesellschaften oder den Suggestionen ihrer geistigen und politischen Patriarchen zu entziehen. Meist belächelt und am Rande stehend verlieren sie eben nicht jenen Zugang zu ihren inneren Schätzen, die sie selbstlos zum Wohle anderer und der Natur einsetzen. Die Strahlen ihres Lichtes sind die seidenen Fäden, die unsere vom Verfall bedrohte globale Welt noch irgendwie zusammenhalten.

Ich betrachte es als Geschenk, solchen Engeln zu begegnen, auch wenn dies mit der schmerzlichen Offenbarung meiner eigenen Schwäche und Zerrissenheit verbunden ist. Ihnen widme ich diese Geschichte, die auf wahren Begebenheiten und Beobachtungen beruht.

Wahrheit, was heißt schon Wahrheit?

Jedenfalls wahr ist, dass Morgen Mittag unser Flug ab Frankfurt geht. Meine Frau packt seit zwei Tagen fanatisch die Koffer, wie immer viel zu viel. Ich trage meinen Krempel zusammen, eigentlich nur Ladeadapter, Ersatzbrille und ein kleines Radio fürs Badezimmer. Meine iPod-Kopfhörer rette ich noch im letzten Moment ins Handgepäck, die Billighörer im Flieger taugen nichts.

Ich stehe wie immer im Wege, also wasche ich nochmal mein Auto und bringe das Leergut weg. Eine wirklich gute Idee, verbessert dies doch merklich die Urlaubskasse. Im Briefkasten ist auch keine Rechnung und ich nehme mir fest vor, dort definitiv keinen Blick mehr reinzuwerfen. Die Mülltonnen sind sortiert, der Rasen ist auch gemäht!

So kurz vor einem Urlaub lade ich meine Leute zu einem Abendessen bei unserem griechischen Freund Vic ein. Der verweigert uns prompt den sonst üblichen zweiten Ouzo als wir ihm gestehen, dass wir nicht nach Chalcidici fliegen, womit er uns schon das ganze Frühjahr in den Ohren liegt. Nein, es geht nach Lanzarote, der Zufall wollte es so.

Wir betäuben die aufkommende Flugangst mit billigem Macedonica und reden lieber über unsere Vorfreude. Immerhin fliegen wir mit der Condor, da gibt’s was zu essen und man kann Filme schauen. Mein großer Sohn Linus wünscht sich „Cast Away“, in dem sich Tom Hanks als einzig Überlebender einer grandios verfilmten Flugzeughavarie auf eine Insel rettet und sich die nächsten Jahre mit einem Fußball unterhalten darf. Ich plädiere für „Dante´s Peak“, auch nach einer geglückten Landung kann ja eine Vulkaninsel plötzlich von der Landkarte verschwinden, da will man gut vorbereitet sein.

Ich bin sehr müde. Die Strapazen der letzten Monate haben meinen Körper in perfekte Bikini-Maße geformt, gebe bestimmt ein mörder Bild am Pool ab. Die Haare hab ich schön und die oberen Extremitäten sind passabel vorgebräunt. Jetzt noch die Beine rasieren und die Fußnägel trimmen, dann kann’s losgehen.

Habe recherchiert, dass der Urlaubsort und unser Club fest in englischer Hand seien. Wenigstens keine Sandalen mit weißen Socken! Vielleicht lass ich mich noch schnell tätowieren. Ich dachte so an „Stella for free!“ auf den Nacken, immer gut sichtbar, auch wenn ich abends im Manchester United-Trikot zum Buffet schluffe und mir den Teller mit ordentlich frittierten Zeug volllade. Die werden mich bestimmt schnell in ihr Herz schließen…

Erster Teil

Departüre

Frühstart

Auch wenn ich Verreisen gewohnt bin, erwache ich nervös und angespannt aus meinem traumlosen Schlaf, als der Wecker um 05:15 Uhr klingelt. Während meine Frau Claudia in stoischer Ruhe duscht, quäle ich mich aus den Federn und organisiere Essbares für unser vorerst letztes mitteleuropäisches Frühstück.

Ich bin eigentlich kein Frühaufsteher. Im Gegenteil, ich habe einen Großteil meines Lebens verschlafen, statt die himmlische Stille früher Morgenstunden zu genießen, bevor die Stadt in hektischer Betriebsamkeit erwacht. So laufe ich durch eine menschenleere Fußgängerzone und erlebe den wahrscheinlich ruhigsten und friedlichsten Moment meines Urlaubes. Meine Lieblingsbäckerei ist bereits geöffnet und erwartet mich gut vorbereitet, es duftet wunderbar. Die Verkäuferin schaut mir wehmütig hinterher, als ich mich mit einem „Leben Sie wohl!“  von ihr verabschiede.

Am Frühstückstisch meldet sich meine innere Unruhe wieder, als ich im fast militanten Tonfall den Zeitplan verkünde:

„PUNKT 07:45 MUESSEN wir im Auto sitzen, ICE zum Flughafen geht um PUNKT 8:36 Uhr und duldet keinerlei Verspätung!“

Als Sohn eines Studiendirektors a.D. bin ich zur absoluten Pünktlichkeit verpflichtet. Seine natürliche Autorität hingegen blieb bei mir eher unterentwickelt. Vor der Bundeswehr hatte ich mich seinerzeit erfolgreich gedrückt, vielleicht hätte mir ja eine Wehrzeit dahingehend gut getan. Statt dem erwarteten „Sir, Yes Sir!!“ gähnt mir Sohn Linus ein müdes „jupp…“ entgegen und meine Frau kommentiert meine Anweisungen mit „Mach mich nicht nervös!“. Zudem ist sie der Meinung, dass unsere Zugtickets für einen ICE ungültig seien:

„Da steht nichts drauf von ICE…“

Wer macht hier wen nervös? Besorgt stopfe ich noch einen Ersatz-Reiseadapter in den letzten noch nicht verschlossenen Koffer, das beruhigt mich irgendwie. Noch 13 Minuten bis zum Lift off. Linus sucht eine Haarbürste. Zu spät, die ist im Koffer. Ich versuche ihn zu trösten, während er verzweifelt seine lange Lockenmähne mit den Fingern zu ordnen versucht. Derart frisiert sieht er in seinem Motörhead T-Shirt wirklich aus wie Ozzy Osbourne in einer NASA-Zentrifuge. Meinen hingegen perfekt frisierten kleinen Sohn Jonah befreie ich danach aus dem Gewirr seiner Kopfhörerkabel, in denen er sich hoffnungslos verheddert bei dem Versuch, sich einhändig die Schuhe zuzubinden.

Claudia kündigt einen weiteren Toilettengang an, das kann dauern. Meine Nerven sind am Anschlag, sie verschwindet wortlos ins Bad und taucht nach exakt 10 Minuten mit nachdenklicher Mine wieder auf:

„Ich hab bestimmt was vergessen…“

Bin mir sicher, dass meine Frau nichts vergessen hat, nachdem ich das Gepäck ins Auto verladen hatte und mir dabei fast einen Bruch hebe. Die zulässigen 20 kg pro Koffer sind garantiert um das Doppelte überschritten, hoffentlich packt das der Flieger.

Wir verlassen endlich das Haus, ich starte den Motor und wage einen Blick auf die Uhr: 8:46! Als Kommandeur eines Atomwaffen-Stützpunktes hätte ich jetzt den Krieg vermasselt.

Sonja erwartet uns ein paar Straßen weiter. Sie ist Claudias beste Freundin und hat sich bereit erklärt, meinen Wagen vom Bahnhof zurückzufahren und sich um unseren neurotischen Wellensittig Lucy zu kümmern. Während der kurzen Fahrt beobachte ich ängstlich die Reifendruck-Kontrolle meines Wagens angesichts der Tonnen im Kofferraum. Sie verhält sich unauffällig. Ist bestimmt kaputt, lass ich bei der nächsten Inspektion checken.

So erreichen wir unbeschadet den ICE-Bahnhof, verabschieden uns von Sonja und besteigen nach kurzer Wartezeit den äußerst pünktlichen Zug Richtung Frankfurt Flughafen, der keinerlei Verspätungen duldet.

Vergessenheit

Ab jetzt überlasse ich der Schöpfung vertrauensvoll den restlichen Verlauf unserer Anreise. Zuvor jedoch bringe ich einen der zahlreichen Mitreisenden in akute Lebensgefahr bei dem Versuch, den kleinsten und vermeintlich leichtesten Koffer in das über ihn befindliche Gepäckfach zu wuchten. Unter den angespannten Blicken der Abteilgäste gelingt mir dies schließlich im dritten Versuch. Ich bedanke mich für den einsetzenden Applaus, werde aber wegen eines Fußfehlers von den anwesenden Kampfrichtern disqualifiziert und bin somit gezwungen, das restliche Gepäck auf dem Gang zu deponieren.

Die Jungs suchen sich ihre Sitzplätze selbstständig, ich lasse mich entkräftet auf die nächst erreichbare Sitzreihe fallen und winke nach meiner Frau. Die korrigiert meine spontane Platzwahl, rücklings zur Fahrtrichtung verursacht bei ihr starke Übelkeit, außerdem erscheint ihr das Fenster zu klein. Kinder und Gepäck außer Sichtweite sitzen wir endlich in einer ihr genehmen Reihe und nach guten 5 Minuten normalisiert sich meine Atmung. Puls und Blutdruck bleiben jedoch weiter hoch, da Claudia den Rauswurf bei nächstem Halt ankündigt, die Zugtickets sind ja für einen ICE ungültig. Ich stelle mir das jähe Ende unserer Reise auf dem Bahnhof Montabaur vor, bis uns eine hübsche Schaffnerin erlöst und uns eine gute Weiterreise wünscht.

Das Universum meint es gut mit uns, denke ich. Dankbar lehne ich  mich zurück, als wir den Bahnhof des Schreckens zu Montabaur passieren und krame mein Smartphone aus der Hosentasche. Ich verbinde mich mit dem im Zug verfügbaren WLAN, um letztmalig meine Emails zu checken. Nichts Wichtiges im Posteingang, außer eines Dankschreibens der Firma Amazon mit anliegender Rechnung über zwei Reise-Ladeadapter samt USB-Kabel und einem batteriebetriebenen Nasenhaar-Schneider.

Logout. Die Welt müssen jetzt andere retten, ich habe Urlaub. Ich schaue mit Fernweh aus dem großen Zugfenster in die verregnete Tristesse der vorbeifliegenden Taunuslandschaft, setze mir die Kopfhörer auf und starte den für diesen Moment eigens ausgewählten Song „Sail Away“ von The Rasmus. Mein Lebenstraum ist es, einmal auf einem Segelboot die Lichter der Zivilisation hinter mir verschwinden zu lassen um mich auf die Suche nach der eigentlichen Wahrheit zu begeben, deren Träger ich irgendwo in der unendlichen Weite des Meeres vermute. Vielleicht hält er sich ja da versteckt, und hoffentlich nicht in der sauerstoffarmen Höhe der Berge. Ich mag die Berge nicht, die sind mir zu steil und machen mich depressiv.

In der Sitzreihe neben uns lehnt ein im grauen Anzug gekleideter junger Mann über seinem IPad und betrachtet mit Entsetzen die derzeitigen Börsenverläufe. Ich vermute, es handelt sich bei ihm um einen der vielen in Frankfurt arbeitenden Banker oder Wertpapierhändler, die gerade feststellen müssen, dass ihr Handel mit griechischen Staatsanleihen doch keine so gute Idee war und es jetzt bitter bereuen, zu viel Solitär gespielt zu haben, statt aufmerksam die Wirtschaftspresse zu verfolgen. Während er aufgeregt beginnt, seinem Abteilungsleiter einen verzweifelten Erklärungsversuch zu mailen, betrachte ich seine tief abgekauten Fingernägel, die auf große innere Nervosität deuten. Der Kerl tut mir irgendwie leid, könnte dieses Jahr eng werden mit seiner Erfolgs-Prämie. Ein ihm bekannter Kollege kommt mit einem Rasierapparat in der Hand aus der Zugtoilette und versetzt die Luft des Wagons mit aufdringlichem After Shave-Geruch. Er setzt sich neben ihn und vermittelt mir einen ähnlich angespannten Eindruck, als sich beide über die zusammenbrechenden Finanzmärkte zu unterhalten beginnen.

Es ist schon sehr beunruhigend für diejenigen, die bisher glaubten, Geld vermehre sich von alleine und nun zu ahnen beginnen, dass sie ihr gieriges und gefährliches Spiel mit dieser Illusion verlieren werden. Offensichtlich ist die Zeit gekommen, in der sich diese und auch so mach andere Scheinwirklichkeit unserer Gesellschaft endgültig auflösen werden.

Claudias mittelschwerer Ellenbogenhieb in meine Rippengegend bringt auch mich zurück in die Realität, erschrocken starre ich in ihre weit aufgerissenen Augen.

„Jetzt weiß ich, was ich vergessen habe!!“

Hecktisch nestele ich mir die Hörer aus den Ohren und erwarte erneut das Ende unserer Reise.

„Deine Schuhe!!“

„Wieso, ich hab doch welche an…“

„Nein, deine grünen Chucks! Deine hässlichen Treter…“  – damit meint sie meine Lieblingsturnschuhe, die ich mir eine Nummer zu klein gekauft habe weil es sie in meiner Größe nicht mehr gab – „…kannst du unmöglich zu den Shorts anziehen, wie sieht das denn aus?!“

„Na dann kaufen wir halt neue vor Ort, da gibt´s bestimmt Schuhläden…“

„Nein, ruf schnell Sonja an, die soll die Schuhe ins Hotel schicken!“

„Wie jetzt, unser Hotel liegt kurz vorm Äquator, bis die da sind, ist Weihnachten! Das ist doch wohl nicht dein Ernst?!“

Unserem Dialog folgt ein kurzes betretendes Schweigen, während mich meine Frau mustert.

„Sach mal, du musst dir unbedingt die Nasenhaare schneiden, sieht ja schlimm aus!“

Ein Fahrgast nickt zustimmend.

„Weiß ich, dafür hab ich mir ja den Nasenhaarschneider gekauft.“

„Was für ein Nasenhaarschneider? Hab ich keinen gesehen, hättest du mir raus legen müssen.“

Stimmt, hab ich vergessen, aber die Ersatz-Batterien sind definitiv im Koffer. Stelle mir vor, wie ich bei unserer Ankunft im Hotel in meinen viel zu kleinen und ewig drückenden Schuhen über meine Nasenhaare stolpere und samt Koffer in den Pool stürze…

Die Kabinenlautsprecher verkünden unterdes die baldige Ankunft am Flughafen, man solle bei Bedarf in Fahrtrichtung rechts aussteigen. Ich melde Bedarf an und steuere schnappatmend und entschlossenen Blickes meinen auf der Ablage verstauten Koffer an. Der schon genannte Mitreisende rettet sich mit einem beherzten Sprung auf den Mittelgang, während ich mich von der Last des Koffers mit in die Tiefe reißen lasse. Wir helfen uns gegenseitig auf die Beine, klopfen uns gegenseitig den Staub von den Schultern und der freundliche Herr wünscht mir für meinen weiteren Lebensweg alles erdenklich Gute.

Der Ausstieg gelingt mir mit Hilfe meiner Familie erstaunlich gut. Unser ICE setzt buchstäblich erleichtert seine Reise fort, während ich nachdenklich die steilen Rolltreppen in Richtung Terminal 1 betrachte.

Steuerfrei!

Wir schleppen uns den Gang entlang Richtung Check In. Wenn ich das hier ohne Herzinfarkt überstehe, erbaue ich eine Kapelle und ändere von nun an mein ungesundes Leben. Habe vom meinem Vermieter den Tipp bekommen, dass es gleich rechts vor dem Eingang zu Terminal 1 einen kleinen Check In von Lufthansa und der Condor gibt. Ich lotse uns dort hin, nur wenige Reisende stehen an und nach nur kurzer Wartezeit stehe ich mit gezückten Papieren und Tickets vor dem Tresen, an dem mich eine nette Mitarbeiterin nach unserem Reiseziel befragt.

„Lanzarote, vier Personen!“

„Wie viele Gepäckstücke?“

„3…“

Sie fordert mich auf, diese nacheinander aufs Band zu stellen. Den Größten bitte als Ersten. Die Waage zeigt 20,5 kg an. Hab ich doch gesagt!

Wir erhalten die Bordkarten mit eingekringeltem Hinweis auf Ausgang B02 mit der dringenden Bitte, dort bis spätestens 10:50 Uhr zu erscheinen.

Na, das war ja einfach! Die Koffer verschwinden hinter einer Wand, während meine Frau Bedenken äußert, ob wir die denn jemals wiedersehen:

„Woher wissen die denn, in welches Flugzeug die gehören?“

„In das nach Lanzarote, hab´s denen gesagt.“

„ Am Schalter stand aber nichts von Lanzarote.“

„…aber hier auf den Bordkarten!“

„Na wenn das mal gut geht…“

09:34 Uhr, genug Zeit für die Sicherheitskontrolle und einen Kaffee. Während Claudia und die Jungs auf dem Klo verschwinden, google ich auf meinem Smartphone den Begriff „Kapellenbau“.

Lässig schlendern wir durch das riesige Flughafenfoyer entlang zahlloser Schlagen wartender Flugreisender. Die betriebsame Hektik stört mich jetzt nicht mehr, ich beginne mich zu entspannen. In den Edelboutiquen versorgen sich neureiche Damen noch schnell mit Chanel-Kostümen und Dolce & Gabbana-Handtaschen, die sie offensichtlich zu Hause vergessen haben. Meine Turnschuhe drücken wie blöde.

Die Sinnhaftigkeit eines Lederwarengeschäftes auf einem Flughafen erschien mir bislang so zweifelhaft wie die einer Tauchschule auf dem Matterhorn. Welcher normalveranlagte Flugreisende kauft sich um Himmels Willen denn gerade hier einen neuen Koffer? Bestimmt nicht die ankommenden Reisenden, die nach ihrer Landung froh sind, pünktlich ihr Gepäck von den Bändern zu fischen um anschließend fluchtartig das Flughafengelände Richtung Heimat zu verlassen. Und jeder Abfliegende betritt doch das Terminal mit einer Vielzahl penibel gepackter Koffer und Reisetaschen in der Absicht, diese möglichst schnell an den Check In Schaltern wieder los zu werden. Tatsächlich aber fühlen sich viele nach der Gepäckaufgabe derartig beraubt, dass sie sich umgehend im Vollsortiment der riesigen Bekleidungs- und Schuhgeschäfte neu einzukleiden beginnen. So erklärt dieses abnorme Konsumverhalten die Existenzfähigkeit der sündhaft teuren und exquisiten Flughafenläden, so auch die besagter Kofferhändler. Sie dürften ihren Kunden zum Kauf eines größeren Modells raten, zumal deren Reise ja gerade erst begonnen hat und garantiert noch viele Kaufrauscherlebnisse bieten wird. Die Kaufsucht der in unserer Überflussgesellschaft lebenden Menschen kennt keine Auszeit, im Gegenteil, gerade im Urlaub gelangt sie ungebremst zu  ihrem Höhepunkt.

Hoffentlich ist im Handgepäck noch etwas Platz, die Einkaufsmeile setzt sich auch hinter der Sicherheitskontrolle fort. Vor ihr entsorge ich vorschriftsgemäß zwei Flaschen mit Flüssigsprengstoff in den dafür eigens aufgestellten gelben Tonnen. Dann werden wir aufgefordert, unser Handgepäck, Jacken und alles in unseren Hosentaschen befindliche in Plastikkisten zu verstauen. Armbanduhren, Armbänder und Gürtel auch. Derart entkleidet stolpere ich mit fast heruntergelassenen Hosen durch den Metalldetektor, nichts piept und ein mit Plastikhandschuhen ausgestatteter Sicherheitsbeamter überlässt die weiteren Untersuchungen meinem Urologen. Claudia und Linus passieren ebenfalls problemlos. Nur Jonah´s metallenes Sonnenbrillen-Markenimitat sorgt für helle Aufregung, als er mit ihm auf dem Kopf durch den Scanner läuft. Das Teil muss genauer untersucht werden, also wieder zurück, ab in die Kiste und nochmal durch. Die anschließende Sprengstoffanalyse der Brille und unserer übrigen Sachen bleibt jedoch ohne Befund.

Sicherheitskontrollen machen mich immer wahnsinnig nervös und ich bin unglaublich erleichtert, als wir den Bereich unversehrt passieren dürfen. So gefreut hab ich mich zuletzt bei der Bekanntgabe meines bestandenen Abiturs 1983, war damals ´ne knappe Angelegenheit. Seinerzeit eröffneten sich mir die Pforten zur Universität, so wie jetzt die Türen der geradezu heiligen und steuerfreien Abflugzone, dem wahren Tor zur weiten Welt.

10:01, noch knapp eine Stunde vor Boarding Time. Wir gönnen uns einen Kaffee und eine Sprite, die sich preislich vor den Getränken auf dem Markusplatz zu Venedig nun wirklich nicht verstecken müssen. Claudia fragt mich, ob ich den Duty Free Shop gesehen hätte. Der befindet sich eine Ebene tiefer direkt unter Klein Venedig. Mit einem geschickten Täuschungsmanöver hatte ich kurz zuvor meine Frau von ihm ablenken können, indem ich laut hustend ihr Blicke solange auf mich zog, bis die aufsteigende Rolltreppe Richtung Ausgang B02 den Konsumtempel verschwinden ließ.

„Nee, hab ich nicht gesehen, der muss irgendwo im Untergeschoss sein. Aber wir müssen sowieso in  20 Minuten zum…“

Meine Frau stürzt die Rolltreppen runter, ich hinterher, während ich erneut meine verpasste Offizierslaufbahn bereue. Etwas später stehe ich völlig genervt zwischen den Regalen steuerfreien Luxusartikel und schaue ängstlich auf die Uhr, noch 14 Minuten. Claudia beschnüffelt ihre mit Edelparfum besprühten Handgelenke und an den Kassen lassen die Boutique-Schicksen letztmalig ihre Kreditkarten glühen, bevor es in den Flieger geht.

„Wir müssen jetzt endlich los“, sage ich im angestrengt ruhigen Ton.

„Hier, das ist gut!“

Claudia verpasst mir eine ordentliche Ladung Joop Splash für wahnsinnig billige 85 Euro die Flasche, bevor ich sie und die Kinder aus dem Laden zerre.  Claudia riecht bis zum Gate unentwegt an mir rum und kommt schließlich zu dem Urteil, dass das Zeug doch irgendwie stinkt. Find ich auch.

Na prima, jetzt riech ich auch noch wie ein toupierter Pudel! Der unbeabsichtigte Sturz in den Hotelpool erscheint mir nun als durchaus sinnvoll.

„Bist du dir sicher, dass das der richtige Ausgang ist?“

„Wieso?!“

„Na auf den Karten steht B2, das hier ist Ausgang B02!“

„Entspann dich, ich bin mir sicher…“

Die Maschine ist aufgerufen, vor uns eine lange Schlange Lanzarote-Fliegender. Um Claudias Flugangst zu mildern, schlage ich ihr eine kleine hypnotherapeutische Phobie-Übung vor, die ich in meiner Ausbildung zum systemischen Coach erlernt habe. Soviel Zeit muss sein. Dabei versetzt man seinen Klienten in eine leichte Trance, in der dieser über seine Angst redet, während der Therapeut zwei Punkte in dessen linken Handinnenfläche sanft drückt, etwa da, wo Herz- und Lebenslinie zusammen laufen. Dies wiederum erzeugt erstaunlich wirksame neurologische und angstlösende Impulse, die den Klienten in kürzester Zeit von seiner Phobie befreien. Hat auch bei mir wunderbar funktioniert, als ich mich damals wegen meiner Panik vor entladenen Handyakkus behandeln ließ.

So bitte ich also meine Frau, die Augen zu schließen und sich die bevorstehende Flugsituation intensiv vorzustellen. Meinen hypnotischen Anweisungen folgen auch die zwei angetrunkenen Typen hinter uns, zumindest deuten ihre schweren Blicke auf einsetzende Trance hin.

Ich drücke besagte Punkte auf Claudias linker Handinnenfläche und befrage sie mit ruhiger Stimme:

„Kannst du mir deine Ängste beschreiben?“

„Wie meinst du das?“

„Was sagt dein Körper, wo fühlst du sie?“

„Wie, im Körper, versteh ich nicht.“

„Ja, vielleicht im Bauch oder in der Brust…“

„Nee, da ist nichts, fühle nichts.“

„Nichts?“

„Nö!“

Phantastisch, sie ist geheilt, großartige Methode! Sie öffnet die Augen und schaut mich verständnislos an, ich interpretiere ihren Blick als bewundernd. Beschließe, meinen Sohn Linus ähnlich zu behandeln, der hat Angst vor Fischen, nicht unbedingt optimal bei 14 Tagen Strandurlaub. Aber da kann ich helfen! Stolz gebe ich die Bordkarten ab.

Reihe 47 A B C D, Einstieg hinten. Ein entspannter und angstfreier Flug erwartet uns.

 Spieltheorie

Ich selber kenne keinerlei Flugängste. Im Gegenteil, ich liebe die einzigartige, immer gleich anzutreffende magisch sonderbare Atmosphäre in der engen Flugzeugröhre mit der zu tiefst beruhigenden Monotonie der staubsaugerähnlichen Düsengeräusche, die multilingual geatmeten Lautsprecherdurchsagen von Pilot und Begleitpersonal, ach einfach alles!

Dass sich Menschen in Flugzeugen oft seltsam verhalten, ist den meisten vielleicht aus eigener Wahrnehmung bekannt. Kein Wunder, Fliegen gehört nun mal nicht in die Natur des Menschen, ist diese Fähigkeit doch nur Vögeln, Insekten und einigen Fischen vorenthalten. Gründe dafür sind aber möglicherweise auch klaustrophobische Angstzustände oder extreme Schuldgefühle angesichts des befürchteten kurz bevorstehenden Todes bei Jenen, die es versäumt haben, ihr Testament zu verfassen und die Dinge zu regeln, die noch zu erledigen waren. Eine fehlende Patientenverfügung ist nicht so schlimm, die nützt jetzt ohnehin nichts mehr. Aber auch das viel diskutierte Phänomen der Tomatensafttrinkerei deutet auf eine merkwürdige Verhaltensänderung mancher Flugreisender hin.

Letztere zählt ganz offensichtlich zu den wenigen noch ungelösten Fragen der Menschheitsgeschichte. Google findet hierzu tausende von Einträgen, sogar Universitäten und das Fraunhofer-Institut beschäftigen sich wissenschaftlich mit jenem Mysterium. Überhaupt, alles wird heutzutage in diesen unsäglichen Internet-Foren diskutiert und so findet man auch hier etliche geistlose Teilnehmer, die nichts Besseres zu tun haben, als sich seitenweise zu dieser Frage auszutauschen. In welcher Welt leben wir eigentlich?

Spaßeshalber habe ich dazu einmal einen völlig frei konstruierten Beitrag ins Netz gestellt, in dem ich mich ausführlich mit den erkennbaren Merkmalen eines potentiellen Flugzeug-Tomatensaft-Trinkers (FTT) auseinander setze und darin behaupte, die wissenschaftliche Relevanz meiner Theorie durch zahllose Fallstudien und statistisch auswertbare Erhebungen belegen zu können. Die Reaktionen waren überwältigend. Mittlerweile gelte ich auf diesem Gebiet als DER anerkannte Experte und ich erwarte, dass mich die Universität Wuppertal für einen Fachvortrag einfliegen lässt.

Aufgrund meines Beitrages hat sich sogar eine Gemeinschaft gegründet, die meine Theorien in einem Spiel namens „Tomatensaft-Bingo“ auf ihren Wahrheitsgehalt überprüfen. Die Regeln wurden dabei wie folgt festgelegt und sind im Internet veröffentlicht:

nachdem das Flugzeug bestiegen ist, beobachtet man die Reisenden der für den Spielenden gut einsehbaren vier Sitzreihen je drei Fluggäste einschließlich der eigenen Reihe. Der Spielende analysiert nun jeden Einzelnen nach den von mir festgelegten Kriterien und entscheidet, welche der Gruppenmitglieder ein potentieller FTT ist. Einen Punkt erhält der Spieler nur dann, wenn besagte Personen dann auch tatsächlich den Saft ordern. Eine Bestellung eines Nicht-FTT bleibt ohne Bedeutung, führt jedoch auch nicht zu Punktabzug.

Sollte keiner der Gäste Tomatensaft verlangen, ist man dennoch berechtigt, sich selber einen zu bestellen, dafür erhält man 0,5 Punkte und man muss dann nicht das Gefühl haben, ein völliger Looser zu sein. Man ist also quasi sein eigener Trost-Joker, eine in der Spiele- und Quizwelt einmalige Spiel-Komponente.

Wir besteigen einen ellenlangen Gelenkbus, der uns zur startklaren Condor bringen soll. Der Fahrer sieht aus wie ein ehemaliger Secret Service-Agent, der gefeuert wurde, weil er seinerzeit das Kennedyattentat nicht verhindern konnte. Er lehnt mit auf dem Rücken verschränkten Armen an einer Wand und wartet grimmigen Blickes, bis die letzten Handgepäckträger das Terminal verlassen haben. Claudia wechselt nochmals den Sitz, seitlich ist auch nicht so gut für ihren Kreislauf, ich beharre stur auf meiner Platzwahl.

Der Bus schlängelt sich in erstaunlichem Tempo durch startenden und landenden Maschinen, Versorgungs- und Gepäckfahrzeugen, der Verkehr auf diesem riesigen Flughafen ist unglaublich. Nach gut 10 Minuten erreichen wir die Condor, eine Boeing 757 älteren Baujahres, die teils abgeblätterten Aufschriften auf ihrem Heck deuten jedenfalls darauf hin.

Bevor ich die Maschine besteige, checke ich noch schnell den Zustand der Reifen und des Fahrwerkes und gebe dem Piloten mittels erhobenen Daumens mein Okay.

Die zwei kurz vorm Ruhestand stehenden Stewardessen und ein jüngerer nach Joop Splash riechender Flugbegleiter begrüßen uns mit aufgesetzten Lächeln und verteilen die Bild und Auto Motor Sport an lesewillige Fluggäste.

Ich führe meine Frau und die Kinder zur Reihe 47 und weise ihnen Sitz D, E und F zu, während ich am Gang auf der Nebenreihe Platz C belege. Neben mir nimmt ein südbadisch sprechendes Rentnerehepaar Platz, die ich zuvor nach recht komplizierten Verhandlungen davon überzeuge, das meine falsch zugewiesenen Sitzplätze lediglich ihren Wechsel auf die andere Sitzreihe bedeute und mit etwaigen Sanktionen deswegen nicht zu rechnen sei.

In spielerischer Leichtigkeit verstaue ich unser Handgepäck in den Fächern über unseren Köpfen und schnalle mich an. Klack!

Himmelsnähe

Kapitän Hartmut Schulte begrüßt uns an Bord seiner Maschine und freut sich riesig, uns fliegen zu dürfen. Hat bestimmt die ganze Nacht vor Aufregung nicht schlafen können. Ich spiele auf meinem IPod Solitär, die Karten liegen verheißungsvoll. Meine Frau lässt sich von meinen Söhnen in die Handhabung ihres MP3-Players einweisen, den ich zuvor akribisch mit Hörbüchern, meditativen Entspannungsübungen und leisen Musikstücken präpariert hatte. Von Flugangst keine Spur, auch nicht nach meiner Bemerkung, dass schon eine  einzige Flugente allein in der Lage sei, ein derart großes Triebwerk wie das unsrige zum Totalausfall zu bringen.

Solitär ist das einzige Computerspiel, das ich einigermaßen beherrsche. Diejenigen, die es nicht kennen, können sich jederzeit ein Bild von der professionellen Spielweise vieler Mitarbeiter in Ortskrankenkassen, Stadtämtern oder Arbeitsagenturen machen. Gewonnen habe ich die Patience schon ewig nicht mehr, aber heute fliegen die Karten wie geschmiert auf die richtigen Stapel.

Die Ansage des Flugbegleiters bittet um unseren kollektiven Beitrag zu einer reibungslosen Startvorbereitung und schlägt dazu vor, sämtliche mitgeführten elektronischen Geräte umgehend auszuschalten und uns danach in eine aufrechte Sitzhaltung zu begeben. Erkläre mich mit letzterem einverstanden, weigere mich aber inständig, bei einem derartigen Blatt meinen IPod auszuschalten. Das geht jetzt auf keinen Fall!

Während die Boeing ihre Startbahn sucht, spiele ich unentwegt weiter und versetze damit meine südbadischen Sitznachbarn in blankes Entsetzen, beide schauen mich fassungslos mit angsterfüllten Augen an. Um eine nachhaltige Traumatisierung zu verhindern, schalte ich hektisch mein Gerät aus, ohne zuvor den Spielstand abzuspeichern. Mist!

Sage sowas wie „Na, dann kann’s ja jetzt losgehen…“ zu den aufatmenden Pärchen und schaue verlegen über ihre Schultern aus dem Fenster. Dabei stelle ich mir vor,  wie mein nicht ausgeschalteter IPod die Navigationssysteme der startenden Maschine derart verwirrt, dass sich Schulte zu einer Notlandung auf dem naheliegenden Sportflughafen Montabaur genötigt sieht. Das mich dort erwartende Sondereinsatz-Kommando des Bundesgrenzschutzes bewirft mich mit Blendgranaten und überwältigt mich schließlich nach kurzem Nahkampf. Man zerrt mich in Ketten und  einer Tüte über dem Kopf aus dem Flieger, während meine zuvor evakuierte Familie kofferlos den ICE Richtung Heimat besteigen muss.

Tatsächlich aber gelingt der Start problemlos, vier Stunden Flug liegen nun vor uns. Die Bildzeitungen werden wieder entfaltet, die uns nochmals an das bevorstehende Ende der Welt erinnern, angesichts der jüngsten schrecklichen Geschehnissen, Hungersnöten und drohenden Staatspleiten. Wir Urlaubsreisende aber haben das Gefühl, als Ausgewählte in der Arche Noah sitzend dem Armageddon zu entkommen frei nach dem Motto „…ist mir jetzt auch egal!“. Dieses Verhalten beobachtete ich auch 2001, als selbst die einstürzenden Tower des World Trade Centers viele Urlauber kaum berührten, wir erlebten damals den 11. September auf Ibiza. Schultes gelungenes Startmanöver verschafft zudem ein tiefes Vertrauen auf eine sichere Landung, wir dürfen nun endlich loslassen und den angekündigten ausgezeichneten Service an Bord genießen.

Nochmals meldet sich das Cockpit, diesmal aber Copilot Marc Everts. Im dritten Lehrjahr darf er das auch mal üben, aber nicht zu lange, sonst verpasst er wohlmöglich noch, wie sein Meister mit geschickten Lenkbewegungen den uns angreifenden Flugenten ausweicht. Auch er freut sich wahnsinnig, kündigt schönes Wetter auf Lanzarote an und gibt uns den hilfreichen Tipp, die Uhren eine Stunde zurück zu stellen, damit die erwartete Landung um 15:00 Uhr bei Startzeit um 12:00 mit der errechneten Flugdauer von 4 Stunden irgendwie doch Sinn macht. Raunen geht durch den Flieger und ich helfe meinem Nachbarn, seine Digitaluhr umzuprogrammieren, was sonst immer sein Enkelsohn für ihn erledigt.

„Was möchten Sie trinken?“

„Cola light“

„Eis dazu?“

„Ja bitte…“

„Was möchten Sie trinken?“

„Tomatensaft.“

„Salz und Pfeffer?“

„Ja.“

Bingo!

„Was möchten Sie trinken?“

„Sekt!“ antworte ich mit geschwellter Brust, nachdem ich mit meiner FTT-Prognose goldrichtig gelegen habe, dreimal Saft bei den richtigen Kandidaten. Volle Punktzahl, das bedeutet Tabellenführung! Geht doch…

Service-Höhepunkt ist unbestritten das an alle Passagiere verteilte Bord-Menü, um deren Unterzuckerung zu verhindern. Derart gut umsorgt, steigt unser Grad an Entspannung weiter, einzig gestört durch einsetzenden Harndrang nach dem dritten Kaffee.

Meine Sitzreihe befindet sich unmittelbar hinter den 5 Bord-Toiletten, vor denen sich von nun an kleinere Schlangen bilden. Besonderem Leidensdruck unterliegen die zahlreichen Kleinkinder, die zappelnd an der elterlichen Hand vor den verschlossenen Türen ausharren. So auch die beiden wirklich niedlichen Zwillinge jener auffällig gebauten blondhaarigen Schönheit im hauchdünnen Chanel-Hosenanzug, welcher ihren bevorstehenden Klimawechsel in optimaler Weise begleitet. Ihre – gelinde ausgedrückt – expansive Oberweite löst ein aus paartherapeutischer Sicht gut interpretierbares Minenspiel der anwesenden Pärchen aus. Interessanterweise verlaufen dabei die Bewegungen der verlegen haschenden Blicke männlichen Betrachter zwischen Blondine und Flugzeugboden vertikal, die derer weiblichen Begleiterinnen eher horizontal im skeptisch giftigen Wechsel zwischen Busenwunder und Partner. Diese Augenbewegungen beschleunigen sich massiv, als die Mutter ihre Kinder nacheinander auf das WC setzt und ihnen schützenden Halt gewährt, während ihr ansehnlicher Hintern aus der halbgeöffneten Toilettentüre ragt.

Diesem Phänomen entziehe ich mich durch ein vorgetäuscht plötzliches Einschlafen, indem ich mir bei links verschlossenem Auge rechts blinzelnd das Spektakel betrachte. Meine große Nase bietet mir dazu ausreichend Tarnung. Von dieser Technik erhoffe ich mir auch viel für die kommenden Strandbesuche, obwohl ich mich dennoch irgendwie genau beobachtet fühle.

Dank der angeborenen Blasenschwäche der Zwillinge wiederholt sich die Szenerie zwanzigminütig und verkürzt mir die Flugzeit erheblich. Allerdings verliere ich bei meiner Frau zunehmend an Glaubwürdigkeit, da ich jedes Mal in einen unerklärlichen Tiefschlaf zu verfallen scheine, sobald sich die fürsorgliche Mutter der Toilette nähert. Deutlich geschickter verhält sich da ein anderer Mitreisender, der seiner Frau einen Bandscheibenvorfall vortäuscht und sich gezwungen sieht, die restliche Flugzeit stehend an dem etwas breiteren Mittelgang vor dem WC zu verbringen. Auch nicht schlecht!

Weniger unterhaltsam dagegen ist der gezeigte Spielfilm, eine romantische Schmonzette namens „Wedding in Rome“. Der Film wird wie in einer Werbepause auf halber Länge unterbrochen. Unser Stewart kündigt den zollfreien Verkauf diverser Güter wie Alkoholika, Zigaretten, Sonnenbrillen oder Modeschmuck an und ist sich sicher, dass für jeden von uns etwas dabei sei. Die Dame vor mir entscheidet sich für eine 189 Euro teure Armbanduhr und testet, ob ihre Kreditkarte auch in 11.000 Metern Höhe funktioniert. Ja, kein Problem. Hört das eigentlich nie auf? Man könnte hier auch den aktuellen IKEA-Katalog verteilen, ich wette, dass sich so manch kaufsüchtige Unternehmergattin spontan zum Erwerb einer neuen Sitzgarnitur entscheidet. In einem A380 lässt sich bestimmt auch gut ein Möbel-Abhollager integrieren.

Herr Schulte meldet sich nochmals kurz und bedankt sich im Namen aller Crewmitglieder für unsere Anwesenheit. Für die Sahnetorte mit Wunderkerzen ist es allerdings jetzt zu spät, da der Landeanflug auf den Flughafen Arecife bereits begonnen hat.

Die Maschine setzt sicher auf der direkt am Meer verlaufenden Landebahn auf, den anhaltenden Applaus hat er sich nun wirklich verdient. Ich krame mein Smartphone aus der Hosentasche, hatte ich vergessen auszuschalten und stopfe es panisch wieder zurück, um damit unbemerkt zu bleiben.

“Willkomme n auf Lanzarote, welcome to Lanzarote!”

Vorahnungen

Die Hinweisschilder des überschaubaren Flughafengebäudes verweisen uns zielsicher zu den Gepäckbändern, um die sich nach und nach die etwa 200 Ankömmlinge aus Frankfurt verteilen. Nach nur wenigen Minuten tauchen die ersten Gepäckstücke auf, die von ihren Besitzern erwartungsfroh vom Band gezerrt werden. Ich verstaue unsere Koffer auf einen Gepäckwagen und dank der logistischen Meisterleistung der Flughafenmitarbeiter verlassen wir bereits nach nicht einer viertel Stunde das kleine Terminal in Richtung Busbahnhof, auf dem gut 40 klimatisierte Reisebusse mit laufenden Motoren auf uns warten. Zuvor hatte uns eine freundliche Reisekauffrau mit einem in die Luft gehaltenen Schildes unseres Reiseveranstalters Bus 43 ans Herz gelegt.

Dessen Fahrer verstaut unaufgefordert unser Gepäck in den Frachtraum und kann sich angesichts derartiger Hilfsbereitschaft seines Trinkgeldes sicher sein. Jonah und Linus sichern sich die beiden Sitze ganz vorne, während meine Frau und ich noch etwas ungläubig den strahlend blauen und wolkenlosen Himmel betrachten und mit der Akklimatisierung beginnen. Es ist heiß, bestimmt gute 30 Grad im Schatten und angenehm windig. Konnten wir uns kaum noch vorstellen nach den kalten und verregneten Zeiten unseres heimischen Sommers, den uns Claudia Kleinert seit Wochen schön zu quatschen versucht und langsam an den permanenten Fehlprognosen ihres Metrologen-Teams zu verzweifeln beginnt.

Wir besteigen den halbgefüllten Bus und warten auf den Fahrer, der sich nach getaner Verladearbeit noch eine Zigarette gönnt. Ich schaue aus dem Fenster und betrachte mich erneut als Glückskind, als unsere Zwillingsmutter ausgerechnet Nachbarbus 44 besteigt. So darf ich nun diesen prächtigen Anblick nochmals genießen, diesmal sogar aus der Vogelperspektive meines erhöhten Sitzes. Vergesse dabei einzuschlafen und erkläre stattdessen meiner mich beobachtenden Frau meine sichtliche Rührung:

„Die hat wirklich echt nette Kinder!“

„Du meinst echt nette Titten, da stehst du doch drauf!“

Nun, es gibt verschiedene Varianten einer Antwort, sieht man sich als Ehemann mit einer solchen Bemerkung seiner Frau konfrontiert. Ein einfaches „Ja!“ wäre zum Beispiel eine durchaus angemessene Reaktion. In ihrer wahrheitsgemäßen Prägnanz und Klarheit nimmt man so seiner kritischen Partnerin jeglichen Wind aus ihren drallen Segeln und geht eindeutig als Punktsieger in einer weiteren Runde des nicht endend wollenden Verwirrspiels namens Ehe hervor. Dies setzt jedoch ein gewisses Maß an Selbstbewusstsein und einen absolvierten Grundwehrdienst voraus.

Eine weitere Möglichkeit kann aber auch in dem gespielt empörten Rettungsversuch liegen, indem man seiner Frau versichert, eben nicht auf große Brüste zu stehen, wie anders hätte man sich sonst dazu entschließen können, sie zu heiraten. Anschließend behauptet man, dass diese seiner Ansicht nach ganz offensichtlich künstliche Brust-Vergrößerung auf eine Persönlichkeitsstörung hindeute, die unser tiefstes Mitleid bedürfe, allein schon wegen den damit verbundenen erheblichen Behandlungskosten und den schlimmen Rückenbeschwerden, unter denen die Ärmste seid der OP zu leiden hätte. Allerdings kommt man sich hierbei so dämlich vor, als hätte man gerade vor laufenden Kameras die 50 Euro-Frage bei Günter Jauch versemmelt und muss sich auf weitere, noch schärfere Bemerkungen seiner Ehefrau einstellen. Das kann ich aus eigener Erfahrung heraus versichern.

Die ersten Busse beginnen mit der Invasion der Sonnenhungrigen. Unser Fahrer checkt nochmals seine Gästeliste, während ich plötzlich knarrende Wortfetzen aus den Buslautsprechern vernehme:

„…allo, eins eins…krrrrrr…wohl kaputt…egal, geht auch ohne…“

Eine uniformierte dickliche Frau mit fettigen Haaren und Harry Potter Brille legt das Mikro bei Seite und brüllt mit heller Stimme durch den Mittelgang, dass es nun endlich losgehe. Sie begrüßt uns nochmals im Namen des Reiseveranstalters und stellt sicher, dass alle die schriftliche Vorladung zum morgigen Begrüßungs-Treffen erhalten haben, in dem es Wichtiges zu Land und Leuten zu erfahren gäbe. Sie sei die für uns verantwortliche Reiseleitung und hieße Detlef Donats. Wie heißt die?? Ich muss mich verhört haben, schaue irritiert zu meiner Frau.

Detlef warnt noch schnell vor den zahlreichen Langfingern, die es auf unsere Reiseunterlagen abgesehen hätten, welche einzig im anzumietenden Zimmertresor sicher lägen, verspricht uns einen unvergesslichen Urlaub und fällt durch die sich schließende Tür ins Freie. Der Bus setzt sich in Bewegung, während wir uns merklich verwirrt fragen, ob die eben erlebte Erscheinung eine erste hitzebedingte Fata Morgana gewesen sei.

Wir verlassen das Flughafengelände über eine stark befahrene Hauptstraße. Die Route führt uns zunächst durch ein großes Gewerbegebiet mit riesigen Einkaufscentren und bekannten amerikanischen Schnellrestaurants. IKEA sehe ich leider nicht, die sind sicher am anderen Stadtrand. Das Ortsausgangschild der Inselhauptstadt passiert, sind es nur noch 12 Kilometer bis nach Puerto del Carmen, unserem Zielort.

Der erste Landschaftseindruck ist ernüchternd und fremdartig. Die unbebauten dunklen und von Lavageröll zerfurchten Ebenen sind frei jeglicher Vegetation, so auch die mittelhohen Hügel und skurrilen Gebirgszüge, die die Sonnenstrahlen in einem grau rötlichen Zwielicht reflektieren. Oder anders ausgedrückt: es deutet hier  alles darauf hin, dass der letzte Vulkanausbruch verheerende Ausmaße hatte. Hätte im Flieger doch besser mein Handy ausschalten sollen, denke ich, als ich kurzzeitig befürchte, auf dem Mond gelandet zu sein.

Doch der sich dann ergebende Ausblick auf die Quelle alles Seins ist schier atemberaubend, als wir etwas an Höhe gewinnen. So schauen wir paralysiert auf unser wahres Reiseziel, jener unendlich schönen und tiefblauen, die Welt umarmende Hinterlassenschaft Gottes, deren Anblick uns ehrfürchtig verstummen lässt.

Der Reisebus findet ersten Halt an einem großen 5-Sterne Domizil direkt am Meer. Auf dem hoteleigenem eingezäunten Strand liegen die offensichtlich etwas betuchteren Gäste auf ihren wind- und sonnengeschützten Liegen und lassen sich nur kurz von uns stören. Es folgen noch etwa vier bis fünf Stopps und je mehr wir uns dem Zentrum Puerto Del Carmens nähern, verdichtet sich die Anzahl großer Hotelgebäude und Appartementanlagen, die auf deren Qualitätsstand hinweisende Sterneanzahl hingegen nimmt ab. Sie säumen riesige, oft hundert Meter tiefe dunkle Sandstrände, die mit Menschenmassen besiedelt sind. Stadteinwärts staut sich zunehmend die Lawine lärmender Autos und Bussen. Entlang der parallel zu den Stränden verlaufenden Hauptstraße drängen sich über Kilometer zahlreiche Bars und Restaurants, Supermärkte, Spielhöllen, Autovermietungen und auffällig viele chinesische Ramschläden.

Das Zentrum selber beschert uns den längsten aller Strände mit rückseitigem Blick auf eine terrassenartig angelegte Vergnügungsmeile, auf deren mehrstöckigen Ebenen das Leben zu toben scheint. Dem Strand schließt sich nahtlos ein gewaltiges in grauen Beton gegossenes Warenhaus mit integriertem Hotel an. Ich versuche zunächst, all dem  wertfrei zu begegnen. „Ganz schön was los hier…“ sage ich zu meiner Frau und beginne zu ahnen, dass ein eher ruhig beschaulicher Badeurlaub hier kaum zu erwarten ist.

Mittlerweile sind wir die letzten Fahrgäste nebst einem deutsch polnischen Ehepaar mit erwachsener Tochter. Der Bus biegt in eine durch eine Baustelle verengte Straße ab, welche die Fußgänger zu waghalsigen Seitenwechseln zwingt und den dort anliegenden Ramschbudenbesitzer enorme Umsatzeinbrüche beschert. Sie mündet in einen großen Verkehrskreisel mit Blick auf ein zweites, noch viel größeres Einkaufscenter mit offen gehaltenen Spiele- und Kletterwelten, Hüpfburgen sowie Bungee-Trampolinanlagen. Dagegen ist die IKEA-Kinderwelt in Köln-Rodenkirchen der totale Dreck.

„Guck mal, McDonalds!!“ skandiert Jonah erleichtert. Darf natürlich nicht fehlen. Die gegenüber liegende Burger King Filiale sorgt in ähnlich beeindruckender Größe für das nötige Gleichgewicht, bekannter Massen teilen sich die Geschmäcker der Fastfood-Gemeinde in jene zwei verfeindeten Läger. Aber hier ist für alles gesorgt, denke ich, als sich der Reisebus einen ziemlich steilen Hügel hochquält.

Besonders dieser Streckenabschnitt ist mir durchaus bekannt, da ich den Hauptstraßenverlauf durch Puerto del Carmen in den letzten Tagen mehrfach mittels Google Street View auf meinem Notebook virtuell befahren hatte. Möglicherweise wurden die Kamerafahrten der unermüdlichen Straßen-Erfasser an einem sonnigen Heiligabend Morgen durchgeführt, vermittelten sie mir doch einen ganz anderen Eindruck als die jetzige Realität. Darin sah ich ein hübsches in weiß getünchten Touristenstädtchen mit wenig Autoverkehr und spazierenden Liebespärchen mit verklärt verpixelten Gesichtern. Während diverse Hotelbewertungen den untrainierten Urlauber eindringlich vor der beschwerlichen Hotelberg-Expedition warnen, täuschte mir indes das Google-Panorama einen harmonisch flachen Verlauf der Straße vor. Auch die von mir vermessenen 600 Meter zum Hauptstrand erscheinen mir jetzt angesichts der gut 10 minütigen Fahrt von Strand zum Hotel als auch nicht wirklich realistisch, das kann aber auch am Verkehrsstau gelegen haben.

Die virtuellen Computerwelten des Internets taugen so viel wie Wetterprognosen, lassen gerade sie doch oft die Welt in einem verzerrten Bild erscheinen, das mit der Wirklichkeit nur wenig zu tun hat. Zumindest aber verleiten sie uns dazu, in ihren Abbildungen und Beschreibungen das zu sehen, was wir in ihnen sehen wollen.

In wieweit die zumeist guten Hotelbewertungen im Internet eine ähnlich beschönigende Absicht verfolgen, werden die nächsten Minuten offenbaren. Angesichts dieser erst gewonnenen Eindrücke schraube ich jedenfalls meine bislang hohe Erwartungshaltung trotz einer 80 prozentigen Empfehlungsquote unserer Urlaubsherberge merklich zurück.

Diese Form von Zweckpessimismus kann einem in Einzelfällen als durchaus sinnvoll erscheinen. Jene weitverbreitete Lebenshaltung schützt jedoch nur selten vor Enttäuschungen. Denn sie lenkt lediglich unseren Fokus auf die von uns befürchteten Missstände, Rückschläge oder Katastrophen, die wir so wie magisch an uns zu ziehen beginnen und jetzt auch mir die im strahlenden weiß gestrichenen spanischen Häuschen meiner hiesigen Realität grau und verriegelt erscheinen lassen. Viele Psychotherapeuten oder Coaches sehen gerade darin ihre Existenzberechtigung. Besonders jene, die die Meinung vertreten, das ganze funktioniere umgekehrt genauso gut, indem das Gesetz der Resonanz der eigenen Gedanken und Vorstellungen zum dann tatsächlich Erlebten im Glauben an das Gute anzuwenden sei und sich so die verschlossenen Türen zu öffnen beginnen. So einfach erscheint doch die selbstgewählte Existenz in einer glücklichen oder unglücklichen Realität, man muss sich nur entscheiden.

Praktisch ist dies etwa zu beobachten an den langen Schlangen vor den Kassen einer örtlichen ALDI-Filiale. Während sich der grundoptimistisch Eine kindlich über die supergünstig neue Heckenschere freut und als letzt bezahlender Kunde der Kassiererin eine schöne Mittagspause wünscht, ärgert sich sein pessimistischer Hintermann maßlos über das immer ihn ereilende Schicksal, nach so langer Wartezeit nun die nächste Kasse benutzen zu müssen, um Stunden später wieder an selbiger sein Geld zurück zu fordern, weil ausgerechnet er die einzige nicht funktionierende Schneidemaschine erwischt hat.

Dieser kleine Exkurs sollte ausreichen um selbständig zu beurteilen, in welcher dieser wegweisenden Grundhaltungen meine Frau das spartanisch wirkende Hotelfoyer mit der folgenden Bemerkung betritt:

„Hoffentlich funktioniert die Dusche!“

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Führer-Schein

Inspiration: ein Posting (Bild) meines Freundes Rainer und überhaupt das Jetzt.

„Führer-Schein“

Diese Welt ist ein Irrenhaus! Als hätte ich es nicht gesagt.

Um dies zu erkennen, muss man nicht weit verreisen. Allenfalls nur an den Rand unserer Republik, nach Dresden. Das haben Anfang der Woche ’ne Menge unserer Mitbürger getan, östliche wie westliche.

Im Sinne der freien Meinungsäußerung. Dieses Kulturgut haben wir uns redlich erkämpft, und das gilt es unter allen Umständen zu verteidigen. Gerade dann, wenn uns die Äußerungen so mancher, die sich dieses Rechtes ermächtigen, sprachlos machen. Alles hat sein Licht, seinen Schatten.

Wie wahr, in Sprachlosigkeit zu verweilen gleicht dem Versumpfen in einer Schattenwirtschaft.

Doch an oberster Stelle steht Zuhören. Laut genug sind diese besorgten Mitbürger ja, um in sie hinein zuhören. Ich glaube, ich habe sie verstanden. Ein Schrei nach Liebe vielleicht? So wie „Die Ärzte“ schon vor 20 Jahren in ihrem Song mutmaßten?

Spätestens nach letztem Montag steht für mich fest, dass es wohl kaum ein Ruf der Liebe ist. Es ist der Ruf nach Führung!

Die Schuldigen sind gefunden. Sie baumeln an ihren imaginären Galgen. Henker sind auch schon in deren Reihen zu genüge da.

Nein, sie rufen nach Führung. Daran mangelt es ihnen! Die brauchen einen, dem sie endlich folgen können, raus aus dem Morast der eigenen Existenz.

Da fällt mir ein:

Ich habe einen Führerschein! Ich mach‘ das!

Um glaubwürdig zu wirken, muss ich nur noch das Bild ändern. Obwohl, hab‘ ich mich wirklich so sehr verändert?

Vielleicht doch, denn damals hörte ich ein Lied von den „Ärzten“. Ich war genauso alt wie ihr Sänger. Der sieht komischerweise heute noch genauso aus wie damals.

Ich nicht. Und die Botschaft seines Textes habe ich bis jetzt nicht akzeptiert. Kein Schrei nach Liebe.

Nur der banale Schrei nach Führung.

20.000 Rufende. Denen müssen wir auch helfen. Dringend! Den 20.000 Führerschein-Besitzern auf der Gegenseite in Dresden kann ich nur zurufen:

Schickt mir eure Führerschein-Bilder! Damit ich jedes Einzelne einrahmen kann. Sie brauchen die Bilder eines Führers. Also zeigt euch!

Wir schaffen das! Bestimmt.

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Willentlich geboren.

Inspiration: das mich immer wieder einholende Trauma der eigenen Geburt

„Geburtstrauma ist ein Oberbegriff für mehrere relativ harmlose „Verletzungen“, die in Rahmen einer Geburt auftreten können und in der überwältigenden Mehrzahl der Fälle wieder ohne Therapie abklingen. Abzugrenzen ist der Begriff von dem psychologischen Konzept des Geburtsschockes.“ (Wikipedia)

„Willentlich geboren.“

Da muss die moderne Biologie endlich mal umdenken. Nicht die Mutter will sich wehendlich des Kindes entledigen – nein, es ist das Kind, welches sich den Weg nach draußen sucht! Eigenwillig, mit dem Kopf nach vorne.
Wobei, wenn ich das nochmals machen sollte, klaubere ich mich zuerst mit den Füßen raus. Ist definitiv bequemer und sieht lustiger aus! Schon auf halber Strecke können die Eltern den Namen fixen und wenn es nur noch meinen Kopf zu befreien gilt, kann ich mittels meiner freigelegten Arme und Hände den Geburtsvorgang selbständig beenden, so, als würde ich mir einen Ritterhelm absetzten.
Plopp!

Die Motivation zur eigenen Geburt liegt auf der Hand. Man ist das monatelange an sich rumspielen einfach leid. Oder den lieben langen Tag immer nur von 1 bis 10 zählen zu müssen. Mehr Finger haben Mädchen nämlich nicht. Sehr viel weiter jedoch kommen auch die Jungs nicht, obwohl sich deren 11. Finger als durchaus vorteilhaft erweisen kann. Besonders dann, wenn man eine Zwillingsschwester hat. Unschlagbar gut bei „Schnick-Schnack-Schnuck!“

Was für heftige Diskussionen unter Drillingen stattfinden, will ich garnicht erst wissen. Doch der Letztgeborene ist ein wahrer Held, dem armen Kerl hilft keiner. Und das erklärt, warum er immer der Chef dieser Riege bleibt:

Der ist den Weg alleine gegangen.

Deswegen mein Tipp: zuerst die Füße! Dann können die Brüder und Schwestern besser ziehen…

 

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Facebook 3.0

Vorab lese man den folgenden Artikel von Jonny Häusler…

Was für eine Inspiration! Ich ärgere mich gerade grün, da mir der Autor zuvorgekommen ist. Genau das wollte ich zu meinem Thema machen, liegt mir dieser Weisheits-Kram ebenso schwer auf meinen Synapsen.

Gut hat er es beschrieben. Es gibt wirklich genügend Weisheiten, die genauer betrachtet in die Spülung gehören.

Auf den Punkt gebracht!

Die Facebook-Gemeinde ist im tiefen Wandel. Abendessen posten ist wohl out. Urlaubsfotos sind auch auf dem absteigenden Ast, zumal die Welt so global geworden ist, dass keinen mehr Karibik-Geknipse vom Hocker reißt.

Überhaupt, das Bundeskriminalamt warnt eindringlich davor, Reisen zu publizieren. So wüsste ja dann jeder Einbrecher, welche Buden derzeit unbewohnt sind. Upps!

Mir wird seitdem immer Angst und Bange, wenn ich zur Arbeit fahre. Ich poste jeden Morgen über die Freuden der Langzeitarbeitslosigkeit, bewerte permanent Pizza-Taxis und biete mich zum Leidwesen meiner Nachbarn lauthals als Paketannahmestelle an, obwohl ich so gut wie nie hier bin. Das beruhigt mich angesichts der zahllos plündernden Horden rumänischer Diebe, die es auf mein Hab und Gut abgesehen haben.

Derzeit grassiert die 5-Foto-Challenge „Ich vor 30 Jahren“ im Netz. Mich hat leider noch niemand nominiert. Wohl auch, weil ich diese Aktion mit „Ein Fest für Pädophiele“ kommentiert habe, um wie das Bundeskriminalamt Angst und Schrecken zu verbreiten.

Ach by the way, hast du die Kamera deines Notebooks mit einem Pflaster abgeklebt? Wenn nein, solltest du es dringend tuen. Sonst kann ich dich sehen, nackt wie du bist vor deinem PC!

Hab ich auch gepostet.

Was also bleibt dem verängstigtem Volke, sich zu besinnen. Sich dem eigenem Leben zu widmen um zu erkennen, dass Essen, Reisen, die eigene Vergangenheit nicht wirklich was bringt.

Wir sind das Volk der Denker. Ja, lass uns zitieren. Das gibt uns nicht nur das Gefühl des weiten Blickes.

Das ist Handlung!

Wer zum Teufel ist John F. Kennedy? Ich hörte letztlich, er sei tot…

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Daheimgeblieben.

Inspiration: das Ende der Urlaubszeit

„Daheimgeblieben.“

Mein Urlaub 2015 ist schon längst vorbei, der Alltag hat mich wieder. Aber nicht nur die pellende Haut auf Armen und Beinen erinnert mich an ihn.
Na klar, auch die berüchtigten Urlaubsbilder. Die fliegen uns jetzt am Ende der Urlaubszeit um die Ohren. Ich erinnere mich noch mit Graus an die endlosen Dia-Abende meines reisewütigen Patenonkels, der uns am Ende seiner zahllosen Griechenlandreisen in stundenlangen Vorträgen die Akropolis erläuterte.

Hat mich immer davon abgehalten, nach Griechenland zu reisen.

Ich bin eh, summa summarum ein Daheimgebliebener. Nicht wirklich ein Urlaubsreisender, wohl aber immer auf der Reise. Kilometermässig mehrfach um die Welt. Nur insgesamt viel zu wenig am Meer!

Aber ich will mich nicht beklagen. Vor allem nicht in diesem Sommer, der wahrlich griechisch war.

Immerhin, einen Tag am Meer habe ich geschafft, die holländische Küste ist nur gut drei Stunden von mir entfernt. Und ein Tag am Meer ist magisch, darüber wurden schon Lieder gesungen.

Daheimgeblieben heißt aber auch, mein Umfeld in Ruhe zu betrachten. Bonner Land. Kultur, wunderbare Landschaft, Festivals, wenn auch nur bis 22:00 Uhr. Verschlafenheit gehört zum Urlaub. Ich hoffe dennoch, dass Bonn laut bleibt!

Fotos hab ich wohl auch gemacht und ein paar gepostet auf Facebook, der heutigen Dia-Show. Und jetzt hier, in einem sogenannten „Slate“. Der ist nicht abendfüllenden, nur eine kleine Story über Urlaubsglück.

Egal, wo man seinen Urlaub verbringt, sei es am Meer, auf dem Mond oder Daheim, es kommt darauf an, mit wem. Das ist Glück!

Genug der Vorworte.

Hier geht´s ab in den Urlaub… (weiterlesen…)

 

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Büchsentelefon

Inspiration: ein instabiles Internet

„Büchsentelefon“

Die Meldung des Tages im Sommerloch: ein großer deutscher Provider – wir wollen keine Namen nennen, um Unitymedia nicht zu schaden – hat Probleme. Die Folge: 50.000 Haushalte im Münsterland konnten heute Morgen weder surfen, telefonieren noch fernsehen.

Im Köln-Bonner Raum gab es in den letzten Tagen auch diverse Ausfälle, Nordrhein-Westfalen fühlte sich zeitweise wie zurückgebombt in die Steinzeit.

Auf den sommerlichen Urlaubsinseln herrscht ebenfalls Chaos. Die Roaming-Gebühren wurden doch nicht abgeschafft, Europas Ländergrenzen sind offensichtlich stabiler als wir es hofften.

Guthaben futsch nach nur fünf Minuten Facebook und einem kurzen Anruf nach Hause. Danach ist keine Verbindung mehr möglich zu dieser grenzenlosen Welt, in der wir leben.

Die Provider wird’s dennoch freuen, die verdienen auch dann, wenn nichts mehr geht! So wie heute im Münsterland.

Da kommt mir der Gedanke, dass ich bereits schon als Kind online war. Nur im Gegensatz zu heute waren die Verbindungen absolut stabil, der Sound glasklar und das ganze völlig kostenlos. Erinnert ihr euch?

Wer nicht, der googele mal den Begriff:

„Büchsentelefon“.

Dann findet man auf einer Seite namens „Physik für Kids“ die folgende Bauanleitung:
„Ein Telefon aus alten Büchsen? Das geht wirklich! Erstmal brauchst du folgendes Material:

– zwei Blechbüchsen oder zwei Sahnebecher aus Plastik…“

(da ich Sahne nicht wirklich mag, bin ich für Blech. Ich schlage Prinzess-Böhnchen vor, die sind lecker und erinnern mich an Prinzessinnen. Kochen, dann essen, Büchsen ausspülen und Apple-Aufkleber draufpeppen.)

„- eine Schere.“

(Nee, zwei Scheren. Jeder eine.)

„- einen langen Faden“

(etwa 5-1500 km lang, je nachdem wohin man anrufen möchte. Mein Baumarkt hat nächste Woche welche im Angebot, passt.)

„- einen Freund bzw. eine Freundin.“

(kann für den ein oder anderen schwierig werden. Gibt’s halt nicht im Baumarkt.)

„Nun zur Bauanleitung:

Zunächst steche mit Hilfe der Schere ein Loch in die Bodenmitte der beiden Becher. Sei aber bitte vorsichtig, dass sie dich nicht verletzt!“

(Wenn ich daran denke, was mir mein Leben schon so alles „beschert“ hat, kann ich diese Warnung nicht ernst genug nehmen!)

„Nun zieh die beiden Enden des Fadens durch die Löcher und verknote sie so fest, dass sie nicht durch das Loch rutschen können.

(Knoten machen kann ich echt gut machen. Kein Problem!)

„Das war’s eigentlich schon! Und nun zum Test dieser Telefonie:

Am besten gehst du nach draußen zum Ausprobieren deines Telefons. Halte nun die eine Büchse an dein Ohr. Dein Freund nimmt sich die zweite Büchse. Bitte nun deinen Freund in seine Büchse zu sprechen oder zu singen.“

(Mich sollte man besser nicht bitten zu singen. Das würde jede Freundschaft gefährden.)

Dabei muss der Faden sehr straff gespannt sein, ohne mit einem Hindernis in Berührung zu kommen. Auch wenn der Faden sehr lang ist, solltest du trotzdem die Stimme deines Freundes hören.“

Wie schon mal gefragt: erinnert ihr euch? Ja, wir waren schon vor den Zeiten des Internets online. Und es funktionierte wirklich.
Irgendwann aber riss mir der Faden, ich hörte nichts mehr von meinem Freund. Und so lernte ich zu vermissen.

Das kann ich bis heute sehr gut, ähnlich wie gute Knoten machen. Daraus habe ich gelernt:

Das Glück hängt an einem langen Faden. Bis heute tut es weh, wenn er mir reißt, dieser Faden. Sei es vor lauter Regen, der ihn aufweicht, oder in der Hitze der Sonne, die ihn verbrennt.

Vermissen aber geht immer. Vielleicht ist das ja die Lösung.

Dieser Faden ist unzerstörbar!

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PARSHIP

Inspiration:

Ein sogenannter „Jahrestag“

„PARSHIP“

Alle elf Minuten verliebt sich jemand über Parship. Du meine Güte, das muss ja auf Dauer echt anstrengend sein, sich alle elf Minuten zu verlieben! Nicht zu beneiden, dieser „Jemand“.

Was mich da geritten hat diesem Verein dennoch beizutreten, weiß ich nicht wirklich. Möglicherweise das dritte, seelentröstende Glas Rotwein an einem stillen Samstagabend. Zuvor hatte mich mein Freund Rolo besucht, der über das Internet seine zweite Frau gefunden hatte und mir davon berichtete. Eine Woche davor lernte ich die Lebensgefährtin meines alten Freundes Günni kennen, auch die waren sich in der virtuellen Welt begegnet und hatten sich nach exakt elf Minuten schlagartig ineinander verliebt.

Allesamt geschieden, jeder mit leidvollen Geschichten. Offensichtlich hat man nach Trennungen keinen Bock mehr, im klassischen Stile auf die Pirsch zu gehen. Schon gar nicht, wenn man sich auf diesen Ü30-Partys derartig unwohl fühlt, dass man am liebsten nach einer halben Stunde laufen gehen möchte. Mit 50 allemal, soweit zu meinem Alter.

Vor gut und gerne 20 Jahren hab ich in meiner einsamen Zeit in Köln eine Annonce im Stadtmagazin geschaltet. An den Text erinnere ich mich nicht mehr, doch der muss gut gewesen sein, nach einer Woche quoll mein Briefkasten über mit handgeschriebenen Briefen inclusive Fotos. Ich erinnere mich, wie ich all diese Briefe auf meinem Fußboden verteilte und mir vorkam wie Leonardo DiCaprio persönlich. Die drei Damen, die ich mir damals aussuchte, traf ich dann auch. Eine davon verliebte sich unsterblich in mich, und ich hatte nichts Besseres zu tun, als diesem armen Mädel gehörig das Herz zu brechen. Das tut mir heute noch leid, wenn ich daran denke.

Sei es drum, ich beschließe also, mich in einer dieser Partnerbörsen anzumelden, zugegeben mit einem mehr als mulmigen Gefühl. Parship erscheint mir am besten, Millionen einsamer Herzen können sich doch nicht irren.

Den psychologischen Fragebogen finde ich witzig, mit so etwas kenne ich mich gut aus. Ich hab jede Menge von dem Kram in meiner Coachingausbildung durchlaufen müssen. Bei einem kam raus, dass ich zu 90 Prozent eine Frau bin. Hat mich echt weitergebracht, diese Erkenntnis!

Und schon nach einer Stunde bekomme ich postwendend ein 40 Seiten starkes Pamphlet über meine jetzige Persönlichkeit, in dem man mir bestätigt, dass ich nicht ganz dicht bin. Ich überlege, die Mitgliedschaft wieder zu kündigen, entschließe mich aber dann doch, den Zirkus mitzumachen.

Tatsächlich dauert es nicht lange, bis ich die ersten Zuschriften bekomme. Mein Profil scheint der ein oder anderen Dame zu gefallen. Besonders Lehrerinnen, das ist auffällig.

Ich lerne den Umgang mit der Plattform, schreibe ein Paar Antwortmails, in denen ich mich für das Interesse bedanke und meine Bilder freigebe. Funktioniert, die meisten reagieren mit der Freigabe ihrerseits, es geht ein bisschen hin und her, es sei denn, die sichtbaren Merkmale meiner Schreiberinnen entsprechen so gar nicht meinem Beuteschema.

Alle googlen natürlich meinen Namen, den ich offenherzig nenne, wenn man mich danach fragt. Da ich eine öffentliche Person bin, wird man hier schnell fündig, was wiederum die unterschiedlichsten Reaktionen hervorruft:

1. Stille, will heißen, der Kontakt bricht kommentarlos ab.

2. Stille, nach einem Kommentar. Etwa der einer 48 jährigem Diplompsychologin, die mir eine schwere Psychose attestiert. Oder einer 55 Jahre alten Werbetexterin, die sich fast wütend über meinen zügellosen Narzissmus aufregt.

3. Das Gegenteil von Stille. So wie eine 52 jährige Dekorateurin, die ihr Alter auf Parship allerdings mit 48 angibt und dabei vergisst, dass auch ich mit Google ein wenig Erfahrung besitze. Sie malträtiert mich eine ganze Woche lang mit Fotos ihrer beträchtlichen Oberweite, bis es mir zuviel wird und ich um Kontaktabbruch bitte.

Parship wiederum ist der Meinung, ich wäre ein echt toller Typ und schlägt mir über 5000 geeignete Damen vor, die ich doch mal kontaktieren solle. Ich bin völlig überfordert damit und google stattdessen, wo denn die nächste Ü30-Party stattfindet. Die Mitgliedschaft kündige ich vorsorglich, damit sie sich nicht automatisch verlängert.

Nichts desto trotz, ich blättere in meinem potentiellen Partnerinnen-Pool (PPP) und lese das Profil einer Qualitätsmanagerin, das es mir auf eine gewisse Art und Weise angetan hat. Ich gebe meine Profilbilder frei und sende ihr ein „Lächeln“. Zur Erklärung, wenn man im Moment nicht weiß, was man sagen soll, drückt man auf den „Ein Lächeln senden“-Button, um sein Interesse zu bekunden. Ganz wie im richtigen Leben, denn Lächeln ist immer ein Türöffner. So einen Button sollte jeder mit sich herumtragen und ständig gedrückt halten!
11 Minuten später lächelt sie zurück…
…und ich verbringe seitdem viel Zeit damit, ihre schönen Bilder zu betrachten, ihr zu schreiben und mich über die Art ihrer Antworten zu freuen, in denen sie mir von sich erzählt. So ganz anders wie die Emails, die man mir bisher schrieb. Ihre Sprache ist unverblümt, leicht und klar wie ihre grünen Augen. Sie stellt sich mir nicht vor, schreibt mir stattdessen wie jemand, dem man schon lange kennt, seinem besten Freund.
Aber das Allerbeste ist: sie will mich tatsächlich sehen, nachdem sie über mich gelesen hat! Ohne vorheriges Telefonat, in dem ich wahrscheinlich eh nicht gewusst hätte, was ich sagen sollte. Gott sei es gedankt.

Morgen ist es soweit. Ich betrachte mich im Spiegel, stelle fest, nicht Leonardo DiCaprio zu sein, und fühle mich dennoch wohl in meiner Haut. Wenn ich ihr jetzt noch einmal schreiben wollte, würde ich ihr das hier schreiben:

„Egal, was sich ergeben wird, du tust mir gut!“

Denn seit zwei Tagen lächle ich ununterbrochen.
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Nachtrag:

Und bis heute lächele ich. Jetzt schon ein ganzes Jahr, angesichts eines so großen Glückes! Ein virtuelles Lächeln genügte, um meinem Leben die erhoffte Wendung zu geben. Mit ihr an meiner Seite, innerhalb von 11 Minuten!
Die hatten tatsächlich Recht. Danke Parship!

Für dich, meine Michi

Michi

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Birthdays

Ach weißt du, was mich angeht, ich mag meine Geburtstage nicht. Die machen einen nur unnötig älter und die Haare grau. Mein glatzköpfiger Frisör sagt, ich läge mit meinem „Greypie Hair“ voll im Trend. Selbst Lady Gaga hätte sich neuerlich die Haare in grau färben lassen. Mit der Haarfarbe würde mir im Bus bestimmt jeder sofort seinen Platz anbieten.

Na super, danke!

Soweit ist es also schon gekommen, oder sollte ich mich besser fragen, wie weit bin ich gekommen? Immerhin gibt es Menschen, die starke Zweifel an der Sinnhaftigkeit meiner Geburt haben. Auf meinem Grabstein wird wohl stehen:

Norbert Grün
„Das wär‘ doch nicht nötig gewesen!“

Und finanziell war das hier auch nur ein einziges Desaster. Ja, den Nachsatz lass ich noch in klein darauf meißeln.

Gott sei Dank aber ist sich der mit Abstand größte Teil der Menschheit meiner Existenz nicht bewusst, bis auf ein paar wenigen, die mich dafür umso reicher machen.

An der eigenen Bedeutung in und für diese Welt lässt sich aber noch arbeiten. Dafür kann es nie zu spät sein.

Das ist die Arbeit, für die ich geboren wurde. In ihr bin ich gewachsen. Und sie will ich weiter leisten.

Jemand sehr bedeutendes hat einmal das folgende gesagt:

“Eure Zeit ist begrenzt, also verschwendet sie nicht, indem ihr das Leben von jemand anderem lebt. Lasst den Lärm anderer Meinungen nicht eure innere Stimme übertönen. Und am wichtigsten, habt den Mut eurem Herzen und eurer Intuition zu folgen.”

Steve Jobs hat das gesagt, im Angesicht seines nahen Todes.

Was für bedeutende Worte! Und so gesehen, in dieser Haltung ist jeder Tag wie ein Geburtstag…

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Harvey

Inspiration:

ein Aldi-Schokoladenhase

„Harvey“

Jeder hat einen Harvey an seiner Seite, nur ist es den allermeisten in dieser verblendeten Welt nicht mehr bewusst. Stattdessen laufen wir alle zu Ostern in die Supermärkte, kaufen in Stanniol verpackte Schokoladen-Hasen und jagen unsere Kinder über die in der Frühlingssonne zu sprießen beginnenden Wiesen unserer Gärten. Wenn wir denn einen Garten haben.

Der Aldi-Hase ist diesjähriger Testsieger, gefolgt von Lindt und Lidl.

Eier suchen am Ostersonntag im Gedenken an den auferstandenen Jesus ist angesagt. John Lennon ist ja auch erschossen worden und lebt weiter.

Ich bin heute früh so gegen neun auferstanden um Harvey zu suchen. Meinen besten Freund, immer gut gelaunt, kindlich fröhlich, laut und so fürchterlich tollpatschig.

Liebe Güte, wir hatten wunderbare Zeiten miteinander. Wildfremde Menschen luden wir damals in unserer Lieblingsbar zu diversen Drinks ein und verwickelten sie in sinnlose Gespräche – solange, bis sie ihre eigenen Harveys offenbarten.

Einer größer als der andere. Der ganze Laden war gefüllt mit riesigen weißen Hasen, wir tanzten ausgelassen mit ihnen bis in die frühen Morgenstunden. Kein Tanzverbot hinderte uns daran!

Ach ja, Charly’s Bar war unsere Oase. Wirklich eine Offenbarung. War lange nicht mehr da.

Weißt du was, dahin gehe ich jetzt! Hoffe, Harvey dort zu treffen. Ich vermute, er sitzt immer noch an der Bar und wartet auf mich.

All die Jahre hab ich mich davor gefürchtet, ihm unter seine rot leuchtenden Augen zu treten. Was soll man denn seinem besten Freund schon sagen, wenn man ihn verleugnet hat, um nicht in der Anstalt zu landen.

Harvey aber hat ein großes Herz. Zwei-Meter-Hasen haben große Herzen, glaub mir das! Herzen, die mir verzeihen, dass ich erwachsen wurde.

Zu Ostern, in 2015

Sei wie die Kinder!

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Setlist

 

Inspiration:

Ein grandioses Rockkonzert von Olli K. in der Bonner Harmonie im März 2015

„SetList“

Weißt du, was eine Setlist ist?

Nein, keine dieser To Do-Listen, ich hasse sie wie Graupensuppe. Die verfolgen nur unsere Zielsetzungen in dem kläglichen Versuch, unser Dasein zu modellieren. Erledigen statt fließen.

Check, Check, Check.

Eine Setlist ist

Flow, Flow, Flow!

Stell dir vor, es ist alles erledigt. Bis in die feinste Perfektion entwickelt, nichts mehr zu verbessern. Mehr als ein halbes Leben hast du an dieser Entwicklung gearbeitet, bist konsequent deiner Berufung gefolgt, hast dich über all deine Zweifler hinweg gesetzt. Auch über deinen Innersten, dem schärfsten aller – der in dir.

Jetzt ist auch dieser verstummt, klein mit Hut, kaum größer als eine Erdbeere.

Die Sonne könnte verfinstern, so what!

All die Storys jener Setlist-Schreiber hast du gelesen, sie geliebt, dir immer wieder vorgestellt, die deine auf die Bühne zu kleben.

Oder gar, sie kleben zu lassen von deinem eigenen Roadie, dem Typen in schwarz, diesem düsteren Engel, der als einziger weiß, wie deine Gitarren zu stimmen sind. Ja, dein engster Vertrauter ist er, vielleicht nur der einen in deinem Leben.

Ihm übergibst du deine SETLIST, denn er wird wissen, auf welche Stelle er sie zu kleben hat. Damit du sie klar vor Augen hast, auf deiner Bühne.

Jene Liste, die all die Früchte deines Lebens enthält, damit du sie endlich ernten darfst vor den Augen deines Publikums.

Am Ende bleibt eine leere Bühne. Rauchverhangen mit verbrauchter Luft. Dann, wenn du dein Letztes gegeben und dafür alles bekommen hast!

Der Roadie aber nimmt dich mit auf deine nächste Reise, nachdem er dein Equipment verstaut hat. Nur eines hinterlässt er immer da, wo du dein Leben lebtest…

Deine SETLIST!

P.S.

„…noch ekliger als wir.“

Ich vergaß, eine Setlist hat immer eine Überschrift. Damit sollst du sie beginnen. Der Rest ist FLOW!

Und sie hat doch ein gutes Ende:

„Best of you“

Dazwischen ist Leben!

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Googeln! (…hilft immer)

Inspiration:

Die Natur der Dinge

„Googeln! (…hilft immer)“

Das Geheimnis eines heutigen Geschichtenerzählers ist mitunter das wahre Leben. Oder aber Google!

Es gibt einfach diese Zeiten des Stillstandes, in denen ich als Autor ängstlich vor einem leeren Blatt Papier sitze, einfach nicht weiß, was ich der Welt mitzuteilen habe.

Immer dann öffne ich den „Google-Translater“, dieses digitale Wunderwerk. Ich kopiere eine willkürlich ausgewählte Textpassage in das Tool, um sie anschließend nacheinander in beliebige Sprachen übersetzen zu lassen, also etwa zunächst von Deutsch nach Vietnamesisch, dann nach Finnisch, Lettisch usw. Nach ca. zehn bis fünfzehn Übersetzungen lässt man den Text schließlich wieder ins Deutsche münden und man erhält ein derart kreatives Wortgefüge, dass die Inspirationen für eine weitere Geschichte oder ein Gedicht nur so fließen.

Vermutlich hat auch so Edmund Stoiber seine legendären Reden kreiert.

Na, jetzt ist mein Geheimnis gelüftet. Aber manchmal ist es doch das wahre Leben, wie gestern an einem herrlich in blau gehimmelten Samstages, an dem ich mich nicht dazu überwinden konnte, mich der Herbstluft hinzugeben. Nicht so wie die unzähligen Hundebesitzer, deren unangeleinte Begleiter (ihrer Natur entsprechend) es lieben, streunende Katzen auf Bäume zu verjagen.

Ich finde diese Gesetzmäßigkeiten der Natur einfach geradlinig, so gehört sich das. Was aber wird in jedem zweiten Facebook-Posting gezeigt? Kätzchen, die mit treu doofen Hunden kuscheln.

Die Realität ist eine andere! Und die holt uns immer wieder auf den Boden der Tatsachen.

Mein Handy weckt mich:

„Weißt du, ob es etwas kostet, wenn man die Feuerwehr alarmiert, mein Hund hat gerade eine Katze auf einen Baum gejagt, und jetzt hängt das arme Tier in mindestens acht Metern Höhe auf einem Baum, kommt nicht mehr runter. Hast du sowas wie eine lange Stange oder eine Leiter im Keller? Ach, das tut mir so leid…“

Ein Hilferuf, ich versuche, diese fatale Situation zu beruhigen.

„Mach dir keine Sorgen, morgen ist die Katze festgefroren, und dann pflücken wir das Tierchen vom Ast.“

„Das ist nicht witzig! Tu was!!!“

Die Verantwortung liegt jetzt bei mir, ich handele. So wie Harvey Keitel als „The Wulf“ in Pulp Fiction.

„Kein Problem, ich kümmere mich drum…“

Drei Stunden später schreibe ich via Smartphone die folgende Email:

„Also ich habe den gesamten Kellerbestand nach ausziehbaren 8 Meter langen Stangen mit einem Körbchen an der Spitze durchsucht und bin leider nicht fündig geworden. Die Klappleiter befördert mich allenfalls in schwindelerregende 2,5 Meter, ich hab’s ausgemessen. Bringt also auch nichts.

Mein Anruf unter falschem Namen bei der Feuerwehr war auch nicht so erbaulich, zumal ich vergessen habe, meine Rufnummer zu unterdrücken und die jetzt mühelos recherchieren können, dass Günther Wallraff nicht in Bad Honnef wohnt, statt dessen aber ein gewisser „Herr Norbert Grün“ mit einer Verwarn-Gebühr zu rechnen hat.

Der Tierschutzverband des Landes Nordrhein-Westfalen war auch nach zähen Verhandlungen nicht bereit, mir helfend unter die Arme zu greifen.

Hab die Wortfolge „Feuerwehr Katze Kosten“ gegoogelt und bin fündig geworden.

(Anmerkung des Autors: Tausende von Einträgen zu diesem Thema, das ist kein Witz. Google ist einfach großartig! Ich finde tatsächlich den folgenden Text)

„Im groben zusammengefasst, sind sich Tierschützer und Feuerwehr einig, dass viele Katzen von alleine wieder herunter kommen. Auch ein Sprung vom Baum stellt für die Vierbeiner oftmals kein Problem dar. Hinzu kommt die Kostenfrage, denn da bei Katzen im Baum keine akute Lebensgefahr besteht, sind diese Rettungsaktionen auch kostenpflichtig. Da eine Rettung mit der Drehleiter nicht immer möglich ist, müssten als Alternative Feuerwehrleute mit tragbaren Leitern oder Höhenretter an der Einsatzstelle tätig werden. Dies kann aber bei verängstigten Katzen nicht nur für die Tiere, sondern auch für die Retter sehr gefährlich werden. Dieses Risiko muss man auch nicht eingehen, denn laut Tierschutzverband ist die erfolgversprechendste Methode, einfach etwas Futter unter den Baum zu stellen und ein paar Tage zu warten. Die Katzen kommen dann oftmals von selbst herunter, wenn sie hungrig werden.“

Also bin ich zum Aldi, Katzenfutter kaufen, sicherheitshalber 60 Dosen, die ich geöffnet unter alle Bäume in der ganzen Gegend gestellt habe, da ich die Katze in all dem Gestrüpp nicht finden konnte und ich mir dennoch von dir nicht den Vorwurf machen lassen möchte, nicht wirklich alles getan zu haben.

Du kannst dir nicht vorstellen, was hier oben los ist, so viele Katzen auf einen Haufen hab ich noch nie gesehen und jetzt hänge ich in mindestens 8 Metern Höhe auf einem dieser Bäume, ich bin gegen die Viecher allergisch.

Kannst du bitte die Feuerwehr für mich anrufen, wenn die meine Nummer auf dem Display sehen, glauben die mir eh nicht!

Bitte hilf mir, ich weiß nicht, wie lange der Ast noch hält. Und lass bloß deinen Hund Zuhause!!!!!“

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Day After Movie (…ein innerer Dialog)

Inspiration:

Die vergebene Hoffnung auf einen Kinoabend

„Day After Movie (…ein innerer Dialog)“

Um die Persönlichkeit eines Menschen in seiner Gesamtheit zu verstehen, bedarf es der Erkenntnis, dass es eben nicht die eine Persönlichkeit in uns gibt, sondern eine Vielzahl oft völlig gegensätzlicher „Sub-Persönlichkeiten“, die sich Tag ein Tag aus in Form jener inneren Stimmen in uns bemerkbar machen. Insbesondere dann, wenn es einer Entscheidung bedarf, etwa der am Morgen aufzustehen oder liegen zubleiben.

Wer kennt sie etwa nicht, diesen inneren Kritiker oder den Visionär, den Macher oder den Jammerer, den Erwachsenen oder das Kind, alle samt in mir vereint, und noch viele mehr! All diese Kreaturen quasseln den ganzen Tag in meinem Kopf vor sich hin und verursachen ein heilloses Durcheinander in mir. Wie soll man sich denn da noch zurechtfinden?

Um diesem Irrenhaus dennoch Herr zu werden, ist eine innere höhere Instanz von Nöten, genannt das „Selbst“. Anders ausgedrückt ist also mein Selbst der Chef in der geistigen Hütte, der sich wohlwollend jede dieser anteiligen Stimmen anhört und darin zu erkennen vermag, dass alle doch irgendwie Recht haben und eigentlich nur Gutes beabsichtigen, jeder für sich und aus seinem beschränkten Horizont heraus.

Die eigentliche Entscheidung jedoch verbleibt ausschließlich meinem Selbst, nachdem es sich alle mir wohlwollenden Meinungen angehört hat, um auf dieser Basis letztendlich die Entscheidung zu treffen, aus dem Fenster zu springen. Oder auch nicht.

Der ständige Dialog mit seinen inneren Gestalten ist so gesehen von elementarer Bedeutung, egal in welcher Lebenssituation auch immer. Die lassen einen niemals im Stich! Zum besseren Verständnis hierzu das folgende Beispiel, welches wie immer auf einer wahren Begebenheit beruht:

Eine liebe Freundin schreibt mir an einem Montagabend – in diesem Moment tatsächlich etwas unverhofft – eine E-Mail mit dem Vorschlag, wir könnten ja am Samstag ins Kino. Ich habe sie schon lange nicht mehr gesehen, bin buchstäblich aus dem Häuschen und rufe daraufhin meine beste Freundin an, eine meiner inneren Kreaturen. Weißt du, so eine treue Begleiterin, die immer ein Ohr für mich hat, der ich mich mit all meinem Zeug, sei es Kummer, Schmerzen oder auch Freude mitteilen darf.

Ich teile mich eigentlich nur Frauen mit. Männer sind mir da nicht zugänglich. Ich meine natürlich die Männer und Frauen in mir. Kennst du die auch, diese männlichen und weiblichen Anteile in dir?

Wie gesagt, meine innere beste Freundin ist meine Vertrauensträgerin. Tag und Nacht für mich da. Findet immer ein gutes Wort, hört mir zu, fragt nach mir. Sie sorgt sich um mich, ja manchmal geht sie mir auch mit ihren liebgemeinten Ratschlägen auf den Nerv, aber meistens hat sie Recht. Sie ist neugierig und bohrt, will alles wissen. Wunderbar ist sie, sie tut mir gut.

Erste Anlaufstelle also, ich rufe sie an und läute an einem Montag das Wochenende ein:

(Ich) „Du glaubst es nicht, sie geht mit mir am Samstag ins Kiiiiinooooooo!!“

(Sie) „Ist nicht wahr!“

(Ich) „Doch!“

(Wir) „AAAAHHHHHHHHHHH!!!!“

Natürlich hab ich auch einen inneren besten Freund. Er ist halt ein Mann, so einer vom Typ „…na Kopf hoch, das wird schon wieder…“. Mit dem Kerl red´ ich nicht groß über Gefühle, geschweige denn über Frauen, da hat er nicht viel mit am Hut. Seine große Liebe bleibt sowieso nur Schalke, er hat ´ne Jahreskarte und wenn er mich trösten will, kommt er immer nur auf die Idee, mich mit ins Stadion nehmen zu wollen, obwohl ich Fußball eigentlich nicht mag, erst recht nicht Schalke!

Glaub mir, der hat noch nie ein Buch gelesen und ist allen Ernstes der Meinung, Martin Luther-King wäre einer dieser Basketball NBA-Spieler. Ist in seinem Leben nicht wirklich weitergekommen, verzockt sich ständig, ist chronisch pleite. Aber er verliert niemals den Mut, ist voller Energie, hat nur Unsinn im Kopf und einen unschlagbaren Humor, er bringt mich immer nur zum Lachen.

Ein professioneller Pferdedieb! Mit ihm mache ich das, was man mit einem Hund ohne Beine macht: um die Häuser ziehen…

Du siehst, die inneren Kreaturen sind unterschiedlicher denn je, aber sie haben nur das eine gemeinsam: sie wollen dir Gutes! Auch die Dämonen. Letztere sollen hier aber heute keine Rolle spielen, darüber schreibe ich ein andermal.

Die Woche vergeht im Fluge, es ist mittlerweile Sonntag. Ich sitze in der Zeppelinstraße Nr.1 in Bonn Bad Godesberg – bekannter Maßen die ansässige Polizeiwache – mit einem Tampon in der Nase, diversen Schürfwunden und einer verbogenen Brille im Gesicht.

Meine Laune ist nicht wirklich gut, den Samstag Abend hatte ich mir etwas anders vorgestellt. Sie ist weg, ich konnte ihr gerade noch meinen Autoschlüssel an den Kopf werfen, als mich die Bullen aus dem Kino zerren.

Brauche jetzt jemanden, der mich hier abholt, ich hab die Schnauze voll und will ins Bett.

Rufe meine innere beste Freundin an:

(Ich) „Hi, ich bin´s, kannst du…“

(Sie) „Ja Hiiiiii!! Duuuu bist es. Naaaaaaaaaaa? Wie war´s?????????“

(Ich) „Was…?“

(Sie) „Na Kinooooo, was denn sonst! Man erzähl schon, wie war es???“

(Ich) „Schön…“

(Sie) „Aohhhh, sag mal, was bist du denn so kurz angebunden, muss ich dir mal wieder alles aus der Nase ziehen? Jetzt erzähl schon. Ward ihr vorher schön was essen?“

(Ich) „Nee, sie hatte schon gegessen. In Mailand, mit zwei Typen und ´ner Ärztin…“

(Sie) „Äh…, Mailand?“

(Ich) „Mailand…“

(Sie) „…mit zwei Typen und ´ner Ärztin?“

(Ich) „Jupp…“

(Sie) „… und danach mit dir ins Kino, in Mailand?“

(Ich) „Nee, in Bonn…“

(Sie) „Gut, das eine Ärztin dabei ist…geht’s dir gut?“

(Ich) „Nicht wirklich…“

(Sie) „Na dann hatte sie dir ja viel zu erzählen…“

(Ich) „Nee, sie hat gepennt, ist mir im Auto eingeschlafen, ich hab sie irgendwie noch ins Kino gefrachtet und sie schlief einfach weiter, war wohl zu müde…“

(Sie) Schweigen

(Ich) „Bist du noch dran?!“

(Sie) „Geht’s dir wirklich gut?“

(Ich) „Laut geschnarcht hat sie. Dann dreht sich der Typ vor mir um, sagt, ich solle diese besoffene Alte endlich aus dem Kino schaffen…frage ihn, wen er hier mit besoffener Alter meint…er deutet auf sie und sagt, Penner wie wir sollen ihren Rausch woanders ausschlafen…ich schütte ihm daraufhin wortlos meinen Popkorneimer über seine Föhnfrisur und einen Liter Cola hinterher…“

(Sie) „Du sollst doch keine Cola trinken! Die ist nicht gut für dich, du redest ja schon wirres Zeug!“

(Ich) „…der Typ springt auf, wirft seine Käse-Nachos in meine Richtung, ich ducke mich und er trifft einen dieser Vollidioten vom Motoradclub Hennef-Uckerrath, die zwei Reihen hinter uns sitzen…ich wiederum dreh mich genervt um und brülle denen zu, sie hätten sich im Kino geirrt , die Chuck Norris-Filmnacht sei in Kino 8 und nicht in 9, ihr Blödmänner…“

(Sie) „Jetzt mach ich mir echt Sorgen um dich!“

(Ich) „…brauchst du nicht, hatte ich gestern auch nicht, als die über mich hergefallen sind. Kannst du mich bitte jetzt holen?“

(Sie) „Du solltest jetzt besser mal schlafen, so wie deine Freundin.“

(Ich) „Bist du noch dran?! Hallo?“

Aufgelegt.

Shit, sie glaubt mir nicht. Manchmal gibt es wohl Situationen, da glaubt einem keine(r).

Hilft nichts, ich will in mein Bett, schlafen. Sie hat mal wieder Recht!

Na, da bleibt nur einer. Obwohl, das könnte Stress geben, draußen ist es noch dunkel und wie ich den Kerl kenne, erwische ich ihn auf dem falschen Fuß. Samstags ist er mit dem Hund ohne Beine unterwegs und trinkt mindestens 5 Jacky-Cola mit parallel selbiger Anzahl Hefeweizen, schwingt große Reden und verpennt den Sonntag. Schalke hat zudem verloren.

Cola ist nicht gut für ihn, das predige ich ihm schon ewig, aber er hört einfach nicht auf mich. Der braucht wirklich eine Freundin!

Sag mal, pennt denn die ganze Welt?

Ich wähle die Nummer…

(Er) „Mhja…“

(Ich) „Alter, ich bin´s, kannst du…“

(Er) „Sach mal du Platzpatrone, weißt du eigentlich, wie viel Uhr ist?“

(Ich) „Nee, Uhr kaputt…“

(Er) „Kauf dir ´ne neue…was is?“

(Ich) „Bin bei den Bullen…“

(Er) „Wo?“

(Ich) „Zeppelinstraße 1“

(Er) „Kenn ich, die sind cool…Warum?“

(Ich) „War mit ihr im Kino.“

(Er) „Na dann is ja kein Wunder…Warum Bullen?“

(Ich) Obiges in sehr verkürzter Form und in extrem genervten Wortfragmenten, also so, wie sich Männer um halb acht Sonntag morgens unterhalten, aber in dieser unerreichten Reduktion aufs Wesentliche, das können Frauen nicht…

(Er) „Hast du noch was von dem Zeug?“

(Ich) „Was für ein Zeug?“

(Er) „Na das, was du gerade geraucht hast. Will ich auch. Komm heute Abend mal rüber. Nacht!“

(Ich) „Bist du noch dran?! Hallo?“

Aufgelegt.

 

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ALLES HALB SO WILD! (…paradoxe Nasenpulerei)

Inspiration:

Die bevorstehende Nasen-OP einer lieben Freundin, der ich mit dieser Mail etwas Mut bereiten möchte, weil ich das auch schon hinter mir habe.

Und ein Text von Horst Evers, den ich Tags zuvor las und mir zur „Steilvorlage“ wurde. Danke Horst!

„Alles halb so wild!“

Seit Jahren führe ich ein kleines Notizbuch mit mir, in dem ich die alltäglichen Paradoxen und die damit verbundenen Fragestellungen notiere, die mir in meinem bewegten Leben immer wieder begegnen. Tatsächlich finde ich darin auch einen Eintrag zum Thema Nase, nämlich die Frage, warum „Augen Nasen sehen, Nasen aber Augen nicht riechen können“.

Rätselhaft erscheint uns doch diese uns so prägende Körperöffnung, hinter der sich manch verborgener Hohlraum befindet, den es gut zu belüften gilt.

Wusstest du eigentlich, dass die alten Ägypter ihren Königen das Hirn durch die Nase entfernt haben, weil sie der Meinung waren, man müsse für die Reise ins Jenseits einen freien Kopf haben. Dazu benutzen sie jene hakenähnlichen Instrumente wie die, die du beim HNO gesehen hast. Dann versiegelten sie die Hirne in Ton-Gefäßen, stellten diese neben die Sarkophage und überließen ihren Pharaonen das Problem, das Zeug am Ende ihrer Reise wieder in den Kopf zu bekommen, vermutlich wieder durch die Nase. Merkwürdig, oder? Die gefundenen Tontöpfchen waren übrigens erstaunlich klein und belegen, dass es nicht viel Hirn bedarf, um die Welt zu beherrschen. Daran hat sich bis heute nichts geändert, aber ich komme vom Thema ab…

So, unser Kopf besteht wie gesagt in der Hauptsache aus Hohlräumen und etwas Hirn. Darin pulen* etliche HNO-Ärzte, die sich frustriert die Frage stellen, etwa darum so lange studiert zu haben. Das kann es doch nicht sein, nur eine Operation verschafft doch wahre persönliche und finanzielle Befriedigung. Also ab ins Krankenhaus und unters Messer, dann klappt das auch wieder mit der Belüftung und mit der Stimme, meine Liebe!

So denn, Montagmorgens halb acht sollte es auch bei mir losgehen mit Dr. W. Dagarve, dem Arzt meines Vertrauens. Ihm hatte ich nach etlichen Arztbesuchen den Zuschlag erteilt, weil er mir in seiner quirligen Art irgendwie sympathisch erschien und ich zuvor sicherstellen konnte, dass sein ausländisch klingender Nachname keinen ägyptischen Ursprung hat. Der hat immer ein paar Belegbetten im Krankenhaus frei, in das ich mich schon sonntags einliefere, um noch etwas Ruhe zu finden und weil mich der Anästhesist nochmal sprechen möchte.

Während ich auf den warte, notiere ich mir den Begriff „Belegbetten“ in mein Paradoxen-Buch und überlege, ob es denn noch andere Betten gibt. Der Narkotiseur erscheint. Er ist sichtlich gestresst und müde nach 36 Stunden Dienst am Stück, beteuert aber, morgen früh wieder auf dem Damm sein zu wollen, um meine Operation zu überwachen. „Nasenscheidewand begradigen und Nebenhöhlen ausräumen, so so. Alles halb so wild, das macht hier der Pförtner“. Super Witz, denke ich und revanchiere mich bei ihm, während er mich nach vorherigen Operationen verhört und ich ihn daraufhin frage, ob er sich denn nicht an meine Herztransplantation vorletzte Woche erinnere, da wär er doch auch dabei gewesen? Ich liebe Krankenhaus-Witze.

Als der Doktor sichtlich irritiert verschwindet, merke ich doch Nervosität in mir aufkommen. Gehe zur Pforte und frage den älteren Herren hinter dem Tresen, wie lange er denn hier schon  arbeite. „17 Jahre…“ antwortet er und betont, er wäre sehr erfahren. Das beruhigt mich etwas, belege wieder mein Bett und notiere „müder Anästhesist“ in mein Büchlein. An sich ja kein Paradoxon, allenfalls die Frage, wie sich denn ein Anästhesist wachhalten will!

Schwester Helga erscheint, befühlt mich nach Fieber und misst mir den Blutdruck, fragt, ob ich etwas zum Schlafen benötige. Sie verweigert mir die Weinkarte und schlägt vor, die Gute-Nacht-Geschichte könne mir ja die Nachtschwester erzählen, die käme später nochmals nach mir schauen. Letztere ist eine Bekannte von mir und organisiert mir eine kleine Flasche Bier „aus der Inneren“ (das ist ein wahnsinns Paradoxon!!!), die haben da immer Kölsch für die Nierenkranken.

Du siehst, den Tag kriegst du schon rum. Auf Morgen kannst du dich wirklich freuen, der Tag beginnt mit einer Leg-Mich-Am-Arsch-Tablette, die ist wundervoll und macht echt gute Laune! (Erinnerst du dich noch an das Zeug von damals?)

Dann noch das OP-Leibchen an und ab in den Fahrstuhl, samt Belegbett. Die Fahrt geht nach unten und erscheint mir unendlich lange zu dauern. Unten angekommen sehe ich noch Dagarve, komplett in grün gekleidet mit Atemschutz, roten Hörnern auf dem Kopf und Dreizack. Der übermüdete Narkosearzt von gestern lehnt sich über mich, hält mir eine Maske vor die Nase und bittet mich, von 10 bis 0 zu zählen. Er schläft bei der 7 ein, ich bei der 4…

Als ich gegen Mittag aufwache, strahlt mich ein junger in weiß gekleideter Assistenzarzt an, klopft mir auf die Schulter und sagt, dass alles gut sei und ich mit dem neuen Knie sicher bald wieder gut laufen könne…

*Das Verb „pulen“ wird tatsächlich ohne „h“, also nicht „puhlen“ geschrieben!  Paradox! Fröhliches in-der-Nase-pulen! Nähmlich!

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INTENSIV…

Für meinen Vater, gestorben am 01. Oktober 2013

Wir alle fallen. Diese Hand da fällt.
Und sieh dir andre an: es ist in allen.
Und doch ist Einer, welcher dieses Fallen
unendlich sanft in seinen Händen hält.

.
Rainer Maria Rilke

„Intensiv…“

…ist es hier auf dieser Station. Im Eingangsbereich sieht es aus wie im Cockpit von Raumschiff Enterprise, überall Überwachungsmonitore im Blicke der in blauen Raumanzügen gehüllten Pfleger.

Es ist nicht so ruhig wie auf der Krebsstation meines Bruders. Überall piepen und klingeln die Geräte. An den Decken hängen Leuchttafeln mit den Patientennummern, deren Daten sich in offensichtlich kritischen Bereichen befinden. Mein Vater hat die Nummer  B0 15.

Ich betrachte die Werte seines geschundenen Körpers, die Herzfrequenz, den Blutdruck, die Körpertemperatur. Die anderen Kurven und Zahlen verstehe ich nicht, muss ich auch nicht. Entscheidend ist, dass eine Berührung seiner Hände oder seiner Stirn die Werte irgendwie beeinflussen, sichtbar.

Er hat kein Bewusstsein mehr, könnte man meinen. Oh doch, er ist da.

Wir sitzen den ganzen Tag an seinem Bett, ich höre seinen schweren Atem. Schmerzen hat er keine, da vertraue ich den Ärzten. Er zeigt
keinerlei Regung, die Augen bleiben verschlossen. Nur wenn die Pfleger nach ihm schauen, öffnen sie ihm sanft die Lider und durchleuchten seine grau blassen Pupillen. Vielleicht sehen seine Augen durch uns hindurch in das Licht des Jenseits.

Im Bett neben meinem Vater liegt ein älterer Mann, ich schätze ihn auf Ende Sechzig. Er ist aus dem Koma erwacht und quält sich in unsagbaren Schmerzen, reißt sich ständig die Schläuche vom Leib. Dann kommen die Pfleger und beruhigen ihn, geben ihm wieder Methanyl. Er leidet unter Morphium-Entzug. Sein Stöhnen und Röcheln ist schier unerträglich.

Mein Vater hingegen ist ganz ruhig. Was für ein Segen. Friedlich ist sein Anblick nicht. Der geöffnete Mund lässt ihn flehentlich
erscheinen.

Papa war ein großer Geschichtenerzähler. Seine letzte erzählte er mir vorgestern Abend, wir tranken unser letztes gemeinsames Glas Rotwein. Die von einem kleinen Affen, der wäre aus dem Zoo ausgebügst und hätte den ganzen Tag am Straßenrand gesessen, um  interessiert den Verkehr zu beobachten. Großes Chaos habe er angerichtet, nur dadurch,dass er da hockte. Ich fragte ihn, ob man das Äffchen wieder eingefangen hätte. „Oh Nein!“ sagte er, in unserem Garten hielte er sich jetzt versteckt.

Was für ein wunderbarer Unterschlupf für den kleinen Chaos-Affen, der Garten meines Vaters.

„Guten Nacht Jung’…“ waren seine letzen Worte an mich.

Und die an meine Mutter waren ein Liebesgeständnis, als sie sich beide ins Bett legten.

Immer kindlicher wurde er in den letzen Wochen. Er hörte auf zu Lesen, schreiben konnte er schon seit längerem nicht mehr. Stundenlang saß er auf dem Balkon und beobachtete die Wolken. Er war in Kriegszeiten Schäfer und vermochte es, das Wetter zu prognostizieren. In aller Regel sehr treffsicher. Er hat mich aber nie in die Geheimnisse seiner Wolkenbeobachtungen eingeweiht.

Gottgläubig war er, zutiefst und kindlich. Hunderte von Gebeten und Meditationen schrieb er in seinen letzten Jahren, hielt wöchentliche Friedensgebets-Treffen in der Kapelle ab. Manchmal hatte ich den Eindruck, er betete fast verzweifelt.

Ich selber habe ihn nie begleitet in seine Kapelle, mir erschien dies alles irgendwie bigott.

Wie mag es mir jetzt erscheinen, wenn ich seine Worte wieder lesen werde, seine Gebete und Meditationen. Oder seine Lebenserinnerungen, die er über seine Kindheit, Schüler- und Studienzeit niederschrieb und damit in diversen Leserkreisen für Furore sorgte.

Darum drehten sich seine Gedanken und immer währenden Erzählungen. Die eines schmächtigen kleinen Jungen in den Anfängen des Krieges als Jüngster von 9 weiteren Geschwistern. Drei von ihnen verstarben im Kindesalter, sein geliebter großer Bruder blieb im Krieg verschollen. Die Eltern verstarben an ihrem Kummer.

Er war letztlich der Intellektuelle, studierte als Einziger mit Bravour und lehnte eine Universitätslaufbahn ab, dafür war er zu
bescheiden. Seine Professoren bewunderten ihn, seine Abschlussarbeitüber Kafka ist bis heute eine „Legende“. Ich habe sie jedoch nie
gelesen.

Ja, er war bis zum Schluss ein sehr ängstlicher Mensch, nie der starke Vater. Immer nur auf unser Wohl bedacht, voller Sorge, jegliches
Risiko ablehnend.

Aber als Lehrer gefürchtet und zugleich geliebt. Aus den Erzählungen seiner Schüler erkannte ich nie meinen Vater, es erschien mir gerade so, als redeten sie von jemand anderem.

Das war seine eigentliche Berufung, und doch blieb er mir auch hier immer geheimnisvoll. Er wollte nicht, dass ich sein Schüler wurde. Und er behandelte mich nie als den seinen, auch wenn ich mir das oft gewünscht hatte.

Er ließ mich ziehen, verjagte mir meine jugendlichen Flausen nicht, belehrte mich nie über meine durchschnittlichen schulischen
Leistungen, gab mir nur wenig Ratschläge in meiner Suche und auf meinem merkwürdigen Lebensweg. Trug all meine Eskapaden ohne Kritik.

Ganz im Gegensatz zu meinen Geschwistern, die er mit strenger Hand erzog.

Wie sehr hatte ich mir doch einen starken Vater gewünscht, doch das war er nie für mich. So glaubte ich es immer in meinen Lebenskrisen, und ich machte ihn mit dafür verantwortlich.

In Wahrheit aber gab er mir schlichtweg seine Liebe und das größte, was man seinem Kind entgegen bringen kann:

seinen tiefen Glauben an mich, und sein bedingungsloses Vertrauen. Und so war ich sein Vertrauter in seinen Lebenskrisen.

Weil er sich in mir sah. Er bewunderte mich.

Und ich bewunderte ihn. Meinen geheimnisvollen Papa…

Es wird jetzt Zeit, mein geliebter Papa. Morgen komme ich wieder und setze mich neben dich. Damit du keine Angst haben brauchst. Warum solltest du dich fürchten vor all den Wundern, die dich erwarten werden..

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ÜBER-LEBEN (…bin dann mal weg)

Inspiration:

Das Ende des Mayakalenders

„ÜBER-LEBEN“

Es ist der 21.12.2012, das Ende aller Tage! Mittlerweile ist es 20:37 Uhr, und ich meine, eben etwas gespürt zu haben, so ein merkwürdiges Surren oder Rauschen in meinem Kopf…

Ich stehe am geöffneten Fenster meines Zimmerchens mit gepacktem Koffer und in meiner Lieblingsjeans, fixiere den Parabolspiegel, den ich intuitiv im oberen Drittel des Gartens installiert habe.

Naja, Parabolspiegel ist vielleicht etwas übertrieben. Nein, es ist eine IKEA Salatschüssel „Blanda Blank“ für unschlagbar günstige 15,35 Euro und mit 36 cm Durchmesser groß genug, um den Gammastrahl locker zu reflektieren, damit die Außerirdischen auf mich aufmerksam werden und mich mitnehmen.

Die universale Sternen-Konstellation hat seit gut einer Stunde die einmalige Position erreicht, es ist nur noch eine Frage von Minuten, bis das todbringende Energiebündel unsere Erde trifft, genau hier, in meinem Garten. Da bin ich mir absolut sicher!

Wo auch sonst, als direkt vor meinen Füßen. Das Armageddon findet hier seinen Ursprung, wird sich spiralförmig über die ganze Erde verbreiten, Tsunami und Flächenbrand entfachend, alles niederwalzend. Bis Mitternacht ist die Erde ein Trümmerfeld. Wehe euch allen!

Aber ich bin darauf bestens vorbereitet. I will survive! Vielleicht ist es ja doch ein Glück, geprügelt durchs Leben zu laufen und zu erkennen, dass Gott ein Strafender ist, der es auf mich abgesehen hat. Na, den werde ich zur Rede stellen, wenn ich lande. Ich werde ihn fragen, was das denn sollte.

Wenn ich zurückblicke auf mein Leben und sehe, wo ich jetzt stehe, ist mir der Weltuntergang willkommen. Als ich kürzlich meine Geschichte einem Menschen erzählte, der mich nicht kannte, inspirierte er mich zu meiner Grabstein-Inschrift:

„Nicht nur finanziell war das Ganze hier ein Desaster…“

Apropos finanziell. In Anbetracht der bekannten Lebensweisheit jenes Weisen, der angesichts des Unterganges ein Bäumchen pflanzen wollte, kam mir der Gedanke, mich selbst als Begünstigtster meiner Lebensversicherung einzusetzen, um wenigstens eine Frucht meines Lebens zu ernten. Darüber habe ich lange nachgedacht. Wie soll das gehen?

Aber es gibt auf alle Fragen eine Antwort, man muss nur suchen:

Meine Versicherungsgesellschaft heißt CosmosDirekt! Die wissen schon, wohin sie die Kohle zu überweisen haben. Für mich ist gesorgt…jetzt kann er kommen, der Untergang!

Es ist 22:21 Uhr, und irgendwas hat da gerade geblitzt, meine ich…ich bin dann mal weg, macht’s gut. Ich schreibe euch, wenn ich angekommen bin.

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SCHULD (…und Schuhe)

Inspiration:
Ein Facebookeintrag am 05.12.2012 zum Thema Nikolaus und geschrieben in der Nacht vom 05. auf den 06. Dezember, weil ich nicht schlafen konnte…

  „Schuld“

Gegen Mittag erreicht mich eine Rundmail mit dem Betreff „Achtung-Wichtig-Bitte teilen!!!!“ Darin wird eindringlich vor einem bösartigen alten Mann in auffällig roter Kleidung gewarnt, der versuche, unschuldigen Menschen etwas in die Schuhe zu schieben.

Du liebe Güte, diesen Dämon hatte ich ja ganz vergessen. Mit dem hab ich einschlägige Erfahrung, der ist wirklich diabolisch. Normalerweise leite ich keine Rundmails weiter, aber das hier hat höchste Priorität, sonst würde ich mich schuldig machen.

Ich erstelle eiligst eine Verteilerliste mir bekannter Schuh-Fetischisten und ergänze die Mail mit meinem eindringlichen Appell an alle Boots- und Stiefelträger, die anhängende Warnmeldung blutig ernst zu nehmen, das hier sei wahrlich kein Spaß.

Gefolgt von einer Entwarnung für Trägern von Halbschuhen. Deren geringes Aufnahmevolumen ließe allenfalls Platz für gelegentliche Schuldahnungen oder Schuldfragen. Damit gibt der Kerl sich aber nicht zufrieden, er fokussiert sich ausschließlich auf hohe Schuhe bis hin zu Kniestiefeln.

Boots etwa ermöglichen bereits in Knöchelhöhe ausgeprägte Mitschuld-Gefühle, je höher desto kollektiver. Paarweise gefüllt, entfaltet sich in ihnen das Gefühl der gemeinschaftlichen Schuld an allem. Kritisch sind auch die sogenannten Moon-Boots, ihre Füllung manifestiert sich in der Universalschuld.

Wehe jedoch allen Stiefelträgern! Knietief werdet ihr versinken in brachialer Schuld, einzig euch gelastet und in ihrer Schwere ohne Gnade vor jedem Richter!!!!

Ich drücke auf senden und fühle Befreiung. Sind doch gut, diese Rundmails.

Ich beschließe, sicherheitshalber die Nacht von heute auf morgen in meinen Stiefeln zu schlafen, trotz meiner Lederallergie. Immer wenn ich morgens in meinen Stiefeln aufwache, habe ich fürchterliche Kopfschmerzen…

[Anmerkung meines inneren Lektors:“…der letzte Kalauer ist superalt, hat soooon Bart, wie der von Nikolaus“]

[Anmerkung des Autors: „…ich find den aber trotzdem immer noch gut…“]

 

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KINDERWUNSCH (…für Anja, Heike und Ela)

Inspiration:

Eine Pilgerfahrt in den Hundsrück

 

„KINDERWUNSCH“

„Na Herr Dichter, schon aufgestanden?“ Gegen Mittag erreicht mich Heikes Email, tatsächlich bin ich gerade erst aufgestanden, Dichter brauchen bekannter Weise viel Schlaf.

Es ist Samstag, der 31. August. Der schöne Spätsommer schwächelt ein wenig, es ist mild und regnerisch. Ich überlege mir mein Outfit, immerhin steht für Heute die Begegnung mit einer Modeikone auf dem Programm.

Anja übermittelt mir via Facebook ihre „mobile Präsenz“ sprich Handynummer, dies sicherheitshalber, damit wir uns bloß nicht verpassen. Treffpunkt Bahnhofsviertel Königswinter um 16:30 Uhr.

Ich bin freudig erregt, das schon seit Tagen. Heike traf ich vor ein paar Wochen das erste Mal seit 20 Jahren wieder auf unserem 30 jährigem Abi-Treffen. Anja leider nicht, sie war an diesem Tag virusbedingt verhindert.

Ach, das wird lustig mit den beiden, und wir haben uns bestimmt wahnsinnig viel zu erzählen nach all den langen Jahren. Und dafür auch genug Zeit, hin und zurück liegen 400 km Fahrt vor uns.

Eine Pilgerfahrt in den Hundsrück nämlich, anlässlich der Autorenlesung von Valeska Réon, die ihr neues Buch vorstellt. Valeska wiederum ist eine liebe Freundin von Anja und Heike,  ich selber lerne sie heute Abend erstmalig persönlich kennen, bislang sind wir lediglich Facebook-Freunde und schreiben uns.

So schließt sich dieser Kreis jener mir bevorstehenden drei Begegnungen, alle an einem Tag. Aufregend, ich freu mich wahnsinnig.

Herzliche Begrüßung, Heike und Anja bereiten mir einen „großen Bahnhof“, als ich pünktlich am verabredeten Treffpunkt erscheine. Wir besteigen mein Auto und die zweistündige Hinfahrt in Richtung Burg Grimburg vergeht wie im Fluge, während wir uns unsere Lebensbeichten gegenseitig abnehmen. Wir erzählen uns in aller Offenheit unsere Geschichten, ich fühle mich wie auf einer Achterbahn, in der wir drei die vordersten Plätze belegen. Will gar nicht aussteigen, als wir unser Ziel erreicht haben, es gibt nichts spannenderes als Lebensgeschichten. Aber es gibt ja noch eine Rückfahrt.

Ankunft gegen 18:30 Uhr, Burg Grimburg bei Hermeskeil, ein Ort im Landkreis Trier-Saarburg, etwa „halb so groß wie der Zentralfriedhof von Berlin, nur doppelt so tot“, so Heike.

Ähnlich wie auf unserer Lebens-Achterbahnfahrt belegen wir auch auf dem Parkplatz den vordersten Platz, Glück gehabt. Vor uns erhebt sich eine wunderschöne alte Burg, in deren Innenhof die ersten „Saar-Hunsrück Literaturtage“ stattfinden. Ein dreitägiges Festival mit durchaus namhaften Autoren, die lesewilligen Zuhörern ihre Werke ans Herz legen. Daneben eine Vielzahl an musikalischer Begleitung unterschiedlicher Bands und Künstler. Zu essen und trinken gibt es auch, Gott sei Dank, Heike hat heute noch nichts Richtiges gegessen und droht zu unterzuckern.

Schöne Stimmung und je dunkler es wird, desto magischer erscheinen die alten Gemäuer im bläulichen Licht einer beeindruckenden Lichtinstallation. Auf der großen Bühne turnt ein fröhlich wirkendes Moderatoren-Pärchen rum. Den einen kenn ich, der hat früher den „Lila Laune Bär“ gemacht und befragt gerade Günther Wallraff zu seinem letzten Projekt, als wir das Gelände betreten.

Nicht schlecht denken wir uns, Wallraff als Vorprogramm von Valeska Réon, na die hat’s geschafft!

Während das Publikum dem charismatischen Günni lauscht, suchen wir Valeska, auch Ela genannt. Sie sitzt mit ihrer Fotografin hinten am Catering-Zelt und freut sich riesig über unseren Besuch. Umwerfendes Kleid, aber das hatte ich nicht anders erwartet. Wir umarmen uns wie alte Freunde, mir wird warm ums Herz.

Ela, Anja und Heike haben sich auch länger nicht gesehen und haben sich viel zu erzählen, eine Stunde vor ihrem Auftritt ist bei Ela von Nervosität nichts zu spüren. Nur Heike ist nervös, sie hat Hunger. Hinter uns bereitet ein italienischer Koch Nudeln mit frisch gebratenen Scampis, Parmesan und Rucola zu. Einstimmige Wahl, wollen wir auch! Wir entscheiden uns dann doch spontan für die Bratwurst im Brötchen, als die letzte Portion Nudeln vor Heikes Bestellung über den Tresen wandert. Zum Trost bringt uns der Koch persönlich einen Eimer Senf an den Tisch, und Ela bemerkt ebenso tröstend, dass Kohlenhydrate am Abend eh ungünstig seien.

Die Moderatorin namens Brigitte setzt sich zu uns und bittet Ela vor ihrem Auftritt um ein kleines Vorgespräch, offensichtlich besprechen die beiden kurz die Inhalte des einleitenden Interviews. Beide verschwinden in Richtung Bühne, während wir noch etwas Herrn Wallraff zuhören, der in beeindruckenden Worten die fürchterlichen Missstände deutscher Paketzusteller beschreibt und mir ein schlechtes Gewissen bereitet, weil ich meine Bücher immer bei Amazon bestelle. Recht hat er, mach ich künftig nicht mehr.

Wir wechseln den Platz in Richtung Bühne, schon wieder erste Reihe, Bingo! Mittlerweile gibt Wallraff Autogramme im Autorenzelt, Ela schreibt eine Widmung in das Autogramm-Album eines Fans, der sie noch um ein Foto bittet und sichtlich stolz gerührt zu seinem Platz zurückkehrt. Auf der Bühne findet noch die Auslosung der Tombola statt, der italienische Koch gewinnt einen Fresskorb und die stellvertretende Bürgermeisterin von Hermeskeil spendet ihren Gewinn, einen Rundflug über die Region einer bedürftigen Familie.

Der lila Laune Bär bringt noch eine kleine musikalische Einlage mittels eines selbstgeschriebenen Liedchens auf einer schlecht gestimmten Gitarre. Dann wird Ela auf die Bühne gebeten, Brigitte beginnt mit dem Interview, befragt sie nach ihrem achterbahnartigen Lebensweg und ihrer außergewöhnlichen Karriere.

Ela lässt es sich nicht nehmen, Anja eigens zu begrüßen, gegen die sie in frühen Schulzeiten einen Lesewettbewerb gewann. Dann nimmt sie an dem großen Lesetisch platz und verzaubert uns wie aus dem Stehgreif für die nächsten 45 Minuten mit Auszügen aus ihrem neuen Buch „Das falsche Spiegelbild“…

Wunderbar!

Pünktlich 21:00 Uhr verlässt sie unter dem Applaus des Publikums die Bühne und schenkt uns dreien jeweils ein Exemplar ihres Buches mit persönlicher Widmung. Mir schreibt sie:

„Für Norbert, ich wünsche mir noch viele Gedichte von dir.“

Versprochen, liebe Ela!

Es ist kalt geworden, wir beschließen aber, noch etwas zu bleiben. Ela verzichtet auf die Signier-Stunde im Zelt und bleibt lieber bei uns. Gute Wahl, hätte sie sonst wohlmöglich den anschließenden Auftritt von Robert Erzig verpasst, der in der folgenden Stunde das Publikum mit fröhlichen Liedchen zu erwärmen versucht.

Brüller! Inhaltlich geht es vorrangig um Themen wie Katzenfutter mit Mäusegeschmack oder Männer und Frauen vor Toilettenhäusern. Heike verfällt im Laufe seiner Performance in zunehmende Euphorie.

Herr Erzig begeistert das eskalierende Publikum mit Refrains wie

„Oh je, oh je, oh je… „, während Heike ein virtuelles Plakat mit der Aufschrift

„ICH WILL EIN KIND VON DIR!!!!“

in die Luft hält, als sich Erzig einen grünen Hut mit Rasierpinsel aufsetzt, um uns anschließend mit einem lustigen Jägerliedchen zu erfreuen. Wir ringen um Luft, so gelacht habe ich lange nicht mehr. Besonders nach dem sich Erzig ausdrücklich bei der Festivalleitung für die tolle und (fast) fehlerlose Organisation bedankt und wir zu dem Schluss geraten, diesen schweren Fehler seines Auftritts der Orga-Leitung zu verzeihen.

Während Ela befürchtet, ihm wohlmöglich Morgen beim Frühstück-Buffet im Hotel zu begegnen, sorge ich mich um Heike, die droht, hemmungslos über Herrn Erzig herzufallen, sobald dieser sein Programm beendet hat, um ihren dringlichen Kinderwunsch nachhaltig Ausdruck zu verleihen. Aus Sicherheitsgründen verlassen wir also kurz nach 22:00 Uhr alle die Veranstaltung, werden aber noch von der für Mitternacht angekündigten Band „Who´s Next“ aus Köln verfolgt, die uns flehentlich darum bittet, doch bitte nicht zu gehen.

Wir verabschieden uns von Ela und ihrer Begleitung.

Die Rückfahrt verläuft ähnlich zeitlos, was für wundervolle Gespräche.

Und was für wundervolle Begegnungen! Alle an einem Tag…

 

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GRUPPE HONNEF (to Mister Obama…)

Inspiration:

Ein ganz banaler Grillabend…

„Gruppe Honnef“

Freitag Nacht gegen 23:00 Uhr erreicht mich eine ungesicherte WhatsApp von Christian mit einer Vorladung zur Lagebesprechung, wie immer teuflisch geschickt verschlüsselt mittels des Code-Satzes „Habt ihr Lust, morgen zu Grillen?“

Ich bestätige umgehend meine Teilnahme, während Sonja als drittes Mitglied der Terrorzelle Honnef absagt. Ihre Botschaft tarnt sie durch die irreführende Aussage, sie wäre aufgrund eines Junggesellinnen-Abschiedes mit 10 Weibern auf einem Dieter Thomas Kuhn Konzert in Bonn. Übersetzt bedeutet dies, dass sie an diesem Wochenende das Ausbildungslager der Untergruppe Bonn leitet, ein wie ich finde durchaus akzeptabler Grund für ihr Nichterscheinen.

Sonja ist im übrigen für die Beschaffung und Verwaltung sämtlicher finanzieller Mittel der Gruppe verantwortlich. In ihren Zuständigkeitsbereich liegt auch die Organisation konspirativer Grundstücks- und Immobilientransaktionen, derzeit entsteht unter ihrer Leitung ein abhörsicheres Basislager an der Landesgrenze zur Sektion Rheinland-Pfalz. Die Toilettenanlagen sind bereits konfiguriert und nächste Woche erfolgt die Lieferung der als Gartenlaube getarnten Besprechungszentrale, deren Anlieferung aus Süd-Afghanistan doch länger dauerte als erwartet.

Samstag um exakt 18:00 Uhr erscheine ich wie verabredet in Christians Haus, Pünktlichkeit ist nun mal oberstes Gebot. Er teilt mir mit, dass der heutigen Besprechung Wolfgang beiwohnen wird. Was für eine Überraschung, das langjährige Mitglied der Gruppe Köln hab ich schon ewig nicht mehr gesehen. Er trifft gegen 18:30 Uhr ein, ohne seinen ihn sonst immer begleitenden Kumpel Guido. Auf meine Nachfrage nach Guido teilt er mir mit, dass letzterer keine Zeit hätte, zumal er nach 50 Semestern Studium tatsächlich sein Diplom gemacht hätte und nun zügig beruflich durchstarten wolle. Er arbeite gerade an einem detaillierten Konzept als Sport-Psychologe, das vermutlich in 5 bis 6 Jahren fertiggestellt ist. Ja, Guido war schon immer von der schnellen Truppe…

Wolfgang ist mittlerweile leitender Mitarbeiter einer Security-Firma und hat für heute von Christian die Aufgabe bekommen, uns über den Stand der Anarchie in der Sektion Köln zu unterrichten. „Es ist wichtig, regelmäßig über den Tellerrand zu schau’n“ betont Christian in seinen einleitenden Worten.

Wir beginnen unser Meeting mit dem obligatorischen Gruß an die uns abhörenden Geheimdienste NSA und BND, indem jeder von uns die folgenden Schlagworte in sein Smartphone spricht:

„Osama Bin Laden – Flüssigsprengstoff – Kinderficker – Taliban – Obama“

Wir wünschen anschließend den so aktivierten Geheimdienst-Mitarbeitern einen schönen Samstag Abend, soviel Höflichkeit muss sein. Anschließend fahren wir unsere Handys runter und entfernen die Akkus.

Wolfgang beginnt mit seiner Statusmeldung. Er ist ein grundoptimistischer Typ und hat durchaus erfreuliches zu berichten. Seinen Schilderungen zu Folge herrscht das totale Chaos im gesamten Bezirk Köln. Dies sei vorrangig der Verdienst der mit Migrationshintergrund behafteten Bewohnern der Stadt. Während er von den Russen mehr Integrationsunfähigkeit fordert, lobt er ausdrücklich den mit konsequenter Gewaltbereitschaft durchtränkten Unwillen sämtlicher türkischer wie arabischer Bevölkerungsgruppen, sich dem hiesigen System anzupassen.

Besonders vielversprechend seien dabei auch die derzeit größer werdenden Zuflüsse bulgarischer und rumänischer Migranten, die seiner Meinung nach künftig eine führende Rolle im Städtekrieg spielen werden.

Die Rolle der in den Brennpunkten fiktiv platzierten Security-Leuten ist dabei insofern bedeutend, dass durch ihre klar erkennbare Präsenz eine zusätzliche Provokation stattfände, deren Wert nicht zu unterschätzen sei.

Großartig! Wir stehen vor dem totalen Systemzusammenbruch! Christian skandiert Lobeshymnen auf die detaillierten Ausführungen seitens Wolfgang, bittet aber um akustische Mäßigung seiner Redelautstärke. Wolfgangs Tonfall erinnere mit zunehmender Rededauer dem eines Agitators der vierziger Jahre, die umliegende Nachbarschaft könne Verdacht schöpfen.

Christian ist auf absolute Sicherheit bedacht, die ausgeklügelte Tarnung unserer Zusammenkünfte ist sein Spezialgebiet. Sei es eine nach außen mutmaßlich harmlos erscheinende kleinbürgerliche Grillveranstaltung in seinem Garten. Oder aber ein von ihm initiierter brasilianischer Kindergeburtstag anlässlich des zweiten Geburtstages von Wolfgangs Sohn, welcher uns seinerzeit einen perfekten Schutz in mitten von zahlreichen Tänzern, Schwulen und Transen bescherte.

Ich befrage Wolfgang in seiner Rolle als Security-Organisator. Hier, so Wolfgang, komme es einfach nur darauf an, die notwendige Ruhe und den Überblick zu bewahren. Immerhin befehle er eine Elitetruppe hochspezialisierter Sicherheitsleute, eine ständige Bereitschaft als Entscheidungsträger sei da unabdingbar. So auch die Erklärung dafür, dass er seit mehr als zwei Jahren keinen Urlaub mehr gemacht habe, um ausschließlich diesem anarchischen Kampf zu dienen. Hut ab!

Kaum ausgesprochen demonstriert uns Wolfgang ein Beispiel seiner außerordentlichen Führungsqualität. Sein Diensthandy klingelt. Was heißt hier klingeln, es ertönt eine geradezu esoterisch mystische Melodie, die ihn schlagartig in eine Art Trancezustand versetzt, um in der ihn jetzt erwartenden Extremsituation eine besonnene Entscheidung treffen zu lassen.

Einer seiner Leute meldet sich aus Chorweiler und vermeldet, dass sein Kollege offensichtlich was falsches gegessen hätte, zumal er gerade jede zweite Ecke des zu bewachenden Areals vollkotze. Wolfgang hört sich in stoischer Ruhe diese sich dramatisch zuspitzende Situation an:

„Hmm…okay…verstanden…“ Dann geht er kurz in sich, die Spannung ist zum zerreißen. „Schick ihn nach Hause, ich kümmere mich um Ersatz…“.

Ich stelle mir jetzt gerade vor, wie der arme Kerl in mitten von bis auf die Zähne bewaffneten Bulgaren auf sich alleine gestellt ist, den Tod vor Augen und sein kotzender Elitekollege neben sich.

Wolfgangs stahlblaue Augen vermitteln die Entschlossenheit des Anführers eines Todeskommandos in einem gottverdammten Platoon in Vietnam, der in den Hinterhalt geraten ist und nun die zerfetzend Leiber seiner verblutenden Truppe aus der Hölle retten muss. Er wählt die Nummer eines kooperativen Security-Ladens und bittet um Hilfe:

„…ich bin’s. Sag mal, hast du noch was frei, einer meiner Leute hat was falsches gegessen und kotzt jetzt Chorweiler voll. Kannst ja mal sehen, ob da was geht, sag mir Bescheid. Wenn nicht, dann eben nicht…ja…okay…tschüss…

„Wird sich schon regeln…“

Was für ein Krieger, der Mann ist echt gut und ich verstehe, warum Christian so große Stücke auf ihn hält.

Im Laufe des Abends ertönt die Eso-Melodie von Wolfgangs Handy noch mehrfach und versetzt uns alle in jene Trance, die einem Marihuana-Rausch ähnelt. Wir sind völlig tiefenentspannt, als er gegen 22:30 Uhr unser Meeting verlässt in Richtung Köln Weiden. Da wohnt er, und es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis dieser letzte noch einigermaßen friedliche Stadtteil Kölns im Chaos versinkt.

Es ist Sonntag Morgen, 11:25 Uhr. Mein Smartphone erklingt in den Stimmen tibetischer Mönchgesänge, die ich den WhatsApp-Meldungen zugeordnet habe. Total beruhigend. Christian wünscht einen guten Morgen und zeigt sich mit dem Verlauf der gestrigen Sitzung zufrieden, verbunden mit dem Appell zum unaufhörlichem Fortschritt:

„Weitermachen!“

JETZT ODER NIE – ANARCHIE!

Gruppe Honnef

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LIPPENBEKENNTNISSE (…ängstlicher Männer)

Inspiration:

Ein Coaching und ein Herpes

„Lippenbekenntnisse“

(Auszug aus dem „Handbuch für ängstliche Männer“, Kapitel 14, Seite 243 ff:)

„… Ungeachtet der Tatsache, dass das reale Küssen einer Frau in Ihrer Angstphobie ein schier unvorstellbares Unterfangen darstellt, haben Sie dennoch die Möglichkeit, eben jenen Kuss in virtueller Form zu vollziehen. Dazu bieten sich vorrangig die Medien Email oder SMS an, das Küssen via Facebook oder Twitter hingegen birgt die tückische Gefahr der Öffentlichkeit und ist daher als eher kontraproduktiv anzusehen.

Soziologisch ist diese Kussart bekannt als s.g. „Lippenbekenntnis im abgesicherten Modus“. Diese Begrifflichkeit leitet sich aus der Tatsache ab, dass Sie hierbei keinerlei körperlichen Attacken Ihres Gegenübers zu befürchten haben, etwa ablehnende Reaktionen wie Ohrfeigen oder Tritte in die unteren Extremitäten. Allerdings sind massive Verbal-Attacken durchaus möglich, vor denen Sie sich dringend schützen sollten. Im unteren Teil dieses Abschnittes sind hierzu einige nützliche Tipps aufgeführt.

Die schriftliche Ausformulierung Ihres Kusses hängt stark von der Ausprägung Ihrer Effeminationsangst ab. Zurückhaltende Varianten sind etwa „Bussi“, „Busserl“ oder „Küsschen links und Küsschen rechts“. Diese Varianten beschreiben die Platzierung eines Kusses auf die Gesichtswangen der angeschriebenen Dame, also NICHT auf ihren Mund. Angebracht sind dererlei Ausdrucksformen vorrangig bei Münchener Schicksen, Pastorentöchtern, Teilnehmerinnen von Handarbeitskursen oder Blockflöten-Spielerinnen.

Deutlich intensiver in seiner Wirkung erweist sich der klare Ausspruch des Wortes „KUSS“ als solcher, also die völlig überraschende Beendigung der Email oder der SMS mit eben jener Formulierung, die ganz klar und offensichtlich auf die Lippen der Angebeteten zielt. Also in etwa so:

„Blablabla…,

Kuss,

Dein Horst“

Nachdem Sie Ihre Nachricht übermittelt haben, können Sie nun mit den folgenden Reaktionen rechnen:

1. Sprachlosigkeit

Diese bedeutet, dass in den nächsten Stunden oder Tagen keine Antwort erfolgt. Sollte das Schweigen länger als drei Wochen anhalten, können Sie davon ausgehen, dass Sie doch besser die Busserl-Variante hätten wählen sollen. In diesem Falle sind Sie dann wohl weit über Ihr angestrebtes Ziel hinausgeschossen und brauchen sich keinerlei weiteren Hoffnungen mehr machen. Hacken Sie es einfach ab.

2. Massive Beschimpfungen.

Diese erfolgen in aller Regel unmittelbar und ohne grössere zeitliche Verzögerung. Wie bereits schon erwähnt, gilt es sich hiervor zu schützen. Öffnen Sie daher keinesfalls derartige Mails, die Sie durch Betreffs wie „Ferkel!“, „Halloooo???!“ oder „Was fällt dir eigentlich ein…“ erkennen können. Ein sicherer Schutz bietet auch die Erweiterung Ihres Spamfilters um die Schlagsätze „Jetzt pass mal auf, du alter…“ und „Geh unter die kalte Dusche, du…“.

3. Verwunderung, Irritation, Verunsicherung.

Dann wiederum haben Sie die Möglichkeit, mit der Floskel „Oh, ich wollte dir nicht zu nahe treten“ die Situation zu entschärfen, laufen aber auch durchaus Gefahr, als ängstliches Weichei dar zustehen. Möglich ist auch, dass diese Gegenreaktion wiederum in 1. oder 2. mündet…

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BERLIN! (…wie in einem Film)

Inspiration:

Eine Dienstreise und die Geschichte eines kleines Mädchen…

„Berlin!“

Mein Hotel liegt direkt am Flughafen Tegel. Na, da hätte ich ja auch fliegen können. Der Lärm ist höllisch, deutet auf keine ruhige Nacht hin. Was soll´s, ich bin in Berlin! Das gehört dazu.

Über diese Stadt kann ich dir viele Geschichten schreiben, so wie diese jetzt. So viele skurrile Orte und Menschen, es ist einfach wundervoll. Kaum angekommen beschließe ich, wieder loszufahren. Etwa 15 km entfernt ist mein „Magic Place“, da will ich jetzt sein: der Mexikoplatz in Zehlendorf.

Also rein ins Auto, „Radio Fritz“ an und bei blauem Abendhimmel durch die Stadt crusien. SCHÖÖÖÖN!

Nach etwa 10 Minuten sorge ich erstmals für Aufregung, als ich in Wedding tief beeindruckt vor einem Verkehrspolizisten in seiner prächtigen weiß-grauen Uniform anhalte, weil ich seinen erhobenen Arm irrtümlicherweise als deutliches „Stopp“ interpretiere. Sein aufgeregt fuchtelndes Winken und lautes Trillerpfeifen erscheinen mir dann doch eindeutiger und veranlassen mich zur Weiterfahrt, dies unter dem Beifall der fröhlich hupenden Blechmasse hinter mir. Die bald folgende rote Ampel hat mit meinem Kopf bemerkenswert viel Ähnlichkeit.

Ich erreiche mein Ziel, suche mir in einer Seitenstraße einen Parkplatz. Scheinbar hat es hier einen Wasserrohrbruch gegeben, der Asphalt ist nass. Ich bemerke gut 20 Meter vor mir eine kleine Menschenansammlung, neugierig wie immer geselle ich mich ihnen zu.

Wir beobachten Aufnahmen für einen Spielfilm oder eine Fernseh-Serie. Das Drehbuch sieht offensichtlich eine herbstliche Regenszene vor, in der die zwei in langen Mänteln gekleideten Protagonisten eine von Autos und Radlern befahrene Straße dialogschwanger überqueren müssen.

Spektakulär! Das läuft in etwa so ab: die zwei Kerle am Bürgersteigrand, über ihnen ein an einer riesigen Angel hängendes Mikrofon. Vor ihnen ein Hubwagen mit Kameramann und Regisseur, rings herum viele große Strahler, die alles in surreales Licht hüllen. Von drei Seiten Regenmaschinen, die den kompletten Bezirk unter Wasser setzen. Blauer Golf und Fahrrad 1 oben, Fahrrad 2 unten.

„UUUUNNNNND ACTION!“

Das sagen die wirklich! Mobile fahren und Kerle labern los, warten schauend, gehen dann durch den Regen über die Straße. Der Hubwagen kreist um die beiden. Woody Allen regt sich auf, das ganze nochmals. Alles wieder an die Startposition, „UUUUNNNNND ACTION!“

Nach drei Versuchen ist die Szene im Kasten, die in schwarzen Regenjacken gekleidete Crew applaudiert erleichtert und klopft sich gegenseitig auf die nassen Schultern. Feierabend!

Willkommen in Berlin, ich sag’s ja.

Auf zum Mexikoplatz. Nicht wirklich ein Platz, sondern eine gigantische Kreuzung, in der die Argentinische und Lindenthaler Allee mit ihren traumhaften Altbauvillen münden. Alles ist wunderschön begrünt, mit Blick auf einen unglaublichen Jungendstil-Bahnhof aus dem 19. Jahrhundert. Der hat den 2. Weltkrieg irgendwie unbeschadet überlebt und sucht seitdem seines Gleichen.

Ich suche mir eine der zahlreichen Außen-Gastrotomien, bestelle mir Berliner Tappas und Rotwein. Tue das, was ich am liebsten mache, schaue mir still die Menschen an und höre ihnen zu. Schreibe mir meine Gedanken auf meinen Block, Stoff für Geschichten.

Ich beobachte ein paar tobende Kinder auf einem Spielplatz neben dem Restaurant. Mir fällt ein kleines Mädchen auf, das ruhig und allein im Sand wühlt. Um ihren Hals trägt sie eine Kette mit einem großen silbern verzierten Schlüssel. Sie redet nicht, scheint die anderen nicht zu verstehen.

Ich bin müde und melancholisch, tue mir plötzlich leid. Wünsche mir, du wärest jetzt bei mir. Ich bete und danke Gott, dass ich hier sein darf, frage ihn nach meinem Weg. Während ich auf seine Antwort warte, bemerke ich plötzlich das kleine Mädchen mit ihren langen sonnengebleichten Haaren neben mir. Ich erkenne sie, mein Herz erfüllt sich mit tiefer Freude. Es verschlägt mir die Sprache.

Sie aber zieht mich zu ihr, legt mir die Kette mit dem schönen Silberschlüssel um den Hals und flüstert mir leise doch klar ins Ohr:

„Il mondo è pieno di porte“

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